: Unakademische Höhepunkte
■ Ein Hamburger Professor schrieb seinen ersten Roman
Man könnte meinen, Professoren bilden eine begünstigte Kaste. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, weiß der Leser von Der Campus, dem Erstling des Hamburger Anglistikprofessors Dietrich Schwanitz. Da wäre etwa die Weiberwirtschaft: Frauenförderungsrichtlinien setzen dem Romanisten Weskamp eine desaströse Angestellte vor, die Türklinken mit der Hinterbacke öffnet und deren „sibirisches Kartoffelgesicht“ mit „Schweinsaugen“ auch nicht gerade dem Schönheitsideal von Anmut und Grazie entspricht. Alles klar?
Diese Verbaleskapaden des Autors treten gehäuft und mit Vorliebe gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen auf. Die Frauenbeauftragte tituliert nur noch als „singende Kreissäge“, Ökologen wollen ausschließlich für sich „den Mehrwert moralischer Integrität abzweigen“, und Theatergruppen inszenieren feministische Demos, die ein Alt-68er aus strategischem Kalkül ins Leben ruft. Flache Klischees dieser Art umranken die Universitäts-Story, in der Schwanitz' Protagonist, der smarte Soziologieprofessor Hanno Hackmann, im Auftrag des Präsidenten Schacht der Vergewaltigung einer Studentin überführt wird. Aber der akademische Heros war nur das (von seiner Studentin Babsi verführte) Opferlamm, das dem Altar der Frauenbewegung zugeführt wurde, um Schachts Wiederwahl mit Frauenstimmen zu sichern.
Hanno Hackmann ist ein authentisch-neudeutscher Vertreter verunsicherter Männlichkeit: Als brillanter Theoretiker schwadroniert er in Vorträgen über „civil society“ und parliert vor laufender Kamera, während er den Ehefrust mit Babsi kompensiert, die ihn vollends zum unakademischen Höhepunkt treibt, indem sie ihn zum Liebesdienst auf „den Ort seiner Askese“, den Schreibtisch, zerrt – Bürosex made in Germany.
Im Gegensatz zum US-Filmopus Enthüllung kehrt Hackmann weder in seine Position noch in den Ehehafen zurück. Statt dessen fordert er nach dem Erweis seiner Unschuld von den Uni-Repräsentanten, seiner Tochter „bis aufs kleinste Detail“ „die Wahrheit“ über die Geschehnisse ins Stammbuch zu schreiben, um ihr seine Unbeflecktheit vor Augen halten zu können. Dieses rührige Ende kontrastiert einen gewollt-satirischen Rundumschlag gegen 1968 und die heutige neandertaliensische Studentengeneration, der voll im Trend liegt und wohl auch deshalb seiner baldigen Verfilmung entgegensieht.
Christoph Schlee
Dietrich Schwanitz: Der Campus; Eichborn Verlag
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