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Kämpfer für Stürmerrechte

Nach dem 0:0 in der Qualifikation zur Fußball-WM 1998 gegen Portugal freut sich ein müder Jürgen Klinsmann schon auf den Grupppensieg  ■ Aus Lissabon Theo Pischke

Nach dem Spiel war Jürgen Klinsmann für alle Fragen offen. Ein portugiesischer Journalist hatte Klinsmanns „Keine Macht den Drogen“-Engagement irgendwo gedruckt gesehen und leitete seine Frage mit „You are a Human Rights Activist“ ein. Ob Klinsmann schon mal etwas vom Ost-Timor-Problem gehört habe, wollte der Sportreporter dann von dem torhungrigen Menschenrechtler wissen. Nein, hatte er nicht. Schließlich hatte sich Klinsmann in letzter Zeit eher mit dem Kampf für Stürmerrechte beschäftigt.

Ein deutscher Sportjournalist wünschte dem Kapitän der Nationalelf ganz unpolitisch „schöne Weihnachten“, und nachdem er so das Terrain vorbereitet hatte, machte er sich daran herauszufinden, wo Klinsmann den Weihnachtsbraten ißt: „Wo gehst du denn eigentlich hin?“ Klinsmann knöpfte zu: „Das sag ich dir ein anderes Mal.“ Plaudernd schob er sich durch die Journalistentraube bis zum Mannschaftsbus durch, witzelte die Reporter an: „Was machst du denn in Portugal? Du auch in Portugal? Alle in Portugal.“ Grund für Klinsmanns Flax- Laune nach den 0:0 in der WM- Qualifikation: „Ich bin sicher, daß wir Gruppenerster werden.“

Doch richtig ins Spiel kam Klinsmann, ebenso wie Stürmerkollege Bobic, am Samstag abend nicht – im Gegensatz zu seinem letzten Auftritt im Lissabonner „Stadion des Lichts“ vor knapp einem Jahr im UEFA-Pokal. Im Dienste des FC Bayern hatte er dort und im Hinspiel im Münchner Olympiastadion Benfica Lissabon mit seinen Toren aus dem Wettbewerb geworfen. „Kataklinsmann“ verballhornte die portugiesische Sportpresse damals das portugiesische Wort „Cataclismo“, was Überschwemmung heißt. Doch diesmal überschwemmte Klinsmann die gegnerische Verteidigung keineswegs. Wie gegen Benfica war auch jetzt Verteidiger Helder Cristovao sein direkter Gegenspieler. Der wurde vor einem Jahr nach seiner Vorstellung gegen Klinsmann in Portugals Sportpresse noch verspottet: Helder habe „Fettringe auf den Hüften“. Diesmal jedoch wich er nicht von Klinsmanns Seite. Der sah die Sache noch dramatischer: „Ich hatte stets drei Gegenspieler um mich herum.“

Das mit dem Gruppensieg auch schon mal durchgerechnet hat Berti Vogts. Portugal hat in fünf Qualifikationsspielen acht Punkte gewonnen. Deutschland in drei Spielen fünf. „Das muß man auch wissen“, sagte der Bundestrainer. Und er war „zufrieden darüber, wie die Mannschaft hier aufgetreten ist“. Vogts war sich mit seinem portugiesischen Trainerkollegen Artur Jorge einig: Das Spiel hatte zwei unterschiedliche Halbzeiten. Die deutsche Mannschaft habe in der ersten Halbzeit „die große Chance gehabt, in Führung zu gehen“, so der Bundestrainer. Doch „in der zweiten Halbzeit hat sie sehr leichtfertig gespielt“.

Artur Jorge sagte: „In der zweiten Halbzeit war Deutschland müde.“ Und in der zweiten Halbzeit hatte Joao Pinto auch die beste Chance des gesamten Spiels. Er umkurvte leichtfüßig drei müde Deutsche und hatte dann noch – selten für Portugals Stürmer – die Beherztheit für einen guten Schuß. Doch Köpke war nicht müde, sondern wehrte den Ball reaktionsschnell zur Ecke ab.

Markus Babbel war zu diesem Zeitpunkt schon „total fertig“, wie Vogts sagte. „Er konnte nicht mehr“ – und wurde deshalb ausgewechselt. Matthias Sammer verteidigte die deutsche Mannschaft gegen den Vorwurf, nicht alles gegeben zu haben: „Sie hätten in der Kabine mal die Gesichter einiger Spieler sehen sollen.“ Auch vor recht unverhohlener Kritik am Bundestrainer schreckte Sammer nicht zurück. „Wenn es in der 80. Minute in Portugal 0:0 steht, spielt man nicht Harakiri“, rügte er den Wechsel Basler – Kirsten, nach dem die Portugiesen viel besser ins Spiel kamen.

Artur Jorge hatte vor allem Thomas Häßler gefürchtet. „Häßler ist der stärkste deutsche Spieler“, sagte Jorge vor dem Spiel. „Gut für uns, daß er nicht dabei ist.“ Doch Vogts meinte, Basler habe Häßler problemlos gut ersetzt: „Mario Basler vertritt ohne weiteres Thomas Häßler.“ Und dann wünschte auch Berti Vogts ein frohes Weihnachtsfest. Ein Fußballfest aber hatte es nicht gegeben in Lissabon.

Deutschland: Köpke (Olympique Marseille) - Sammer (Borussia Dortmund) - Kohler (Borussia Dortmund) - Reuter (Borussia Dortmund), Babbel (Bayern München - 85. Tarnat/Karlsruher SC), Eilts (Werder Bremen), Ziege (Bayern München) - Möller (Borussia Dortmund), Basler (Bayern München - 71. Kirsten/Bayer Leverkusen) - Klinsmann (Bayern München), Bobic (VfB Stuttgart)

Schiedsrichter: Puhl (Ungarn)

Zuschauer: 45.000

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