: Atomare Zeitbombe im Wüstensand
Als Rußland vor 30 Jahren seinen Atommüll unter dünnen Erdschichten verscharrte, reagierte die Weltöffentlichkeit empört. Jetzt haben die Amerikaner diese kostengünstige Entsorgungsmethode wiederentdeckt. ■ Aus Needles, Kalifornien, Ziri Wagner
Bürgermeister Roy Mills kann sich eigentlich nur an einen einzigen Mitbürger erinnern, der die Atommüllkippe wollte. „Gemeinderat Bender war dafür“, erinnert er sich, „aber der ist tot.“
Zurück blieb das zunehmend ängstliche 5.000-Einwohner-Kaff Needles am Colorado – und ein bedauerlich gutes Verhältnis zur Atomindustrie. Die nämlich will 20 Meilen entfernt, in Ward Valley, eine Lagerstätte für radioaktiven Abfall bauen. Der strahlende Müll (zu 97 Prozent aus AKW) soll in Industriefässern zwei Meter tief im Wüstensand verscharrt werden. Ohne jede Isolierung.
Doch damit nicht genug: Die geplante Lagerstätte befindet sich direkt über Wasseradern, die im 18 Meilen entfernten Colorado River enden. Der Fluß, an dieser Stelle Grenze zwischen Kalifornien und Arizona, liefert einen Großteil des Trinkwassers für beide Bundesstaaten und den Nordwesten Mexikos. Leckt die Müllhalde, droht die irreparable Verseuchung des Flusses. Trinkwasser für über 22 Millionen Menschen steht auf dem Spiel.
Der Baugegner gibt es viele: Sieben Städte (inklusive Los Angeles), drei Landkreise, fünf Indianerstämme und die Staaten Nevada und Arizona haben Resolutionen gegen den Bau der Lagerstelle verabschiedet. Ward Valley gehört zum „Heiligen Land“ der ansässigen Indianerstämme.
Wer zahlt, schafft an: auch einen verseuchten Fluß
Kaliforniens von Umweltschützern und der Atomindustrie gleichermaßen bestürmter republikanischer Gouverneur, Pete Wilson, entschied sich für den Standort – wie er sagt, nach „rein sachlichen Kriterien“. Und die Auftragsfirma „US Ecology“ fährt eindeutig die besseren Argumente auf: Im Parteispendenregister von Los Angeles steht es für jedermann nachzulesen: US Ecology hat großzügige 120.000 Dollar in Wilsons Wiederwahlkampagne gesteckt.
Immerhin geht es für die finanziell angeschlagene Baufirma US Ecology um Sein oder Nichtsein: Der baldige Bau von Ward Valley brächte einen Drei-Milliarden- Dollar-Auftrag und die Rettung.
Widerstand von unerwarteter Seite hat jedoch die Baupläne bislang durchkreuzt: Ward Valley untersteht, wie alles Wüstengebiet, der Bundesregierung – und die rückt, alarmiert von Umweltschützern, die Baurechte nicht raus.
Die Auftragsfirma US Ecology reagiert mit mehr PR: 4,5 Millionen Dollar hat der Konzern inzwischen für „bürgernahe Maßnahmen“ und gute Anwälte ausgegeben. Needles konnte sich über einen kleinen Goldregen freuen. Geld für das angeschlagene Schulwesen ließ so manchen Kritiker der Atommüllkippe in dem 5.000- Seelen-Nest verstummen. Vergessen ist, daß Needles ein aufstrebendes Städtchen war – bevor die Anwaltskosten zur Verhinderung der Atommüllkippe es in den Bankrott trieben.
Wenn's sicher ist, baut die Müllkippe in Los Angeles
„Wir hier in Needles, wir sind für die entbehrlich“, klagt Mills. „Wenn die Lagerstätte so sicher und dicht ist, dann baut sie doch in Santa Barbara. Oder Downtown Los Angeles!“
Seit über einem Jahr zelten Indianerstämme und Umweltschützer auf dem 400-Hektar-Gelände. Sie zogen mehrmals gegen den Bau vor Gericht. Einziger Erfolg: Zeitschinden, weitere Sicherheitsgutachten werden erstellt. Doch die Gnadenfrist läuft ab.
Seit Monaten setzten Wilson und seine getreuen Banken, Ölfirmen und Versicherungen die US- Regierung und den Kongreß unter briefliches Dauerfeuer. „Wir wollen mehr Bio-Tech-Firmen nach Kalifornien ziehen – und die brauchen eine Atommüllkippe“, sagt Wilson.
Achtung! „Radioaktive Niedrigdose!“
„Diese Industrie ist sauber und bringt viele gutbezahlte Arbeitsplätze“, weiß Elisabeth Brand, seine Sprecherin im kalifornischen Gesundheitsministerium. „Leider behindern hysterische Umweltschützer unsere Baupläne. Dabei geht es nur um völlig ungefährliche Niedrigdosen.“
Laut Pete Wilson soll Ward Valley von Universitäten und kleinen Laboratorien zur Müllagerung benutzt werden. Doch Zahlen des Umweltministeriums machen klar: Nur ein Prozent des Atommülls käme von dort. Hinter dem „harmlosen Gesuch“ aus Forschung und Technik steckt die Atomindustrie: Die Atomkraftwerke brauchen neue Lagerplätze für ihren „niedrigdosierten Müll“. Darunter fielen auch in Ward Valley erhebliche Mengen Plutonium (Halbwertszeit: 25.000 Jahre), Carbon 14 (HWZ: 57.000 Jahre) und Nickel 59 (HWZ: 800.000 Jahre). Vergraben werden für die Ewigkeit soll der radioaktive Müll in einfachen Stahlfässern.
Ein einige Jahre altes Gutachten der kalifornischen „Staatsakademie der Wissenschaft“ kann die Gegner der Müllkippe nicht beruhigen. „Radioaktives Material benötigt zirka 1.300 Jahre, bis es 220 Meter tief ins Grundwasser dringt“, heißt es in dem Gutachten. „Ward Valley ist dicht.“ Eine Atommüllagerstelle in Beatty (Nevada), die US Ecology 1962 nach gleicher Bauart errichtete, diente dabei als Vergleich. Wenn Beatty „dicht“ ist, sei auch Ward Valley unbedenklich.
Doch seit zwei Jahren hören die Akademie und Gouverneur Wilson diesen Vergleich gar nicht mehr gern. Wissenschaftler des „US Geology Survey“ der Bundesregierung entdeckten in Beatty nämlich erhöhte radioaktive Werte in Tiefen bis zu 120 Metern – ganze 2,7 Meter über dem Grundwasser.
„Diese Messungen zeigen, daß zum Beispiel Tritium in nur drei Jahrzehnten 120 Meter tief in den Boden eindringen kann. Nicht in 1.300 Jahren, wie US Ecology behauptet“, schließt Dan Hirsch von der Umweltgruppe „Committee to Bridge the Gap“ (CBG). Gouverneur Wilson hingegen meint nun: „Die beiden Lagerstätten sind doch nicht zu vergleichen.“
Die Befürchtung, von der Müllkippe könnte Radioaktivität im Boden versickern, liegt auch aus anderen Gründen nahe. Bislang lecken alle Lagerstätten dieser Bauart nach wenigen Jahren. Fünf davon stammen von US Ecology.
Drei Lagerstätten, drei Probleme:
– Zum Beispiel Beatty/Nevada: Bereits 1979 schloß Nevada die Lagerstelle von US Ecology: Nach einem mehrstündigen Brand entdeckten Wissenschaftler der USGS vergrabene radioaktive Fässer außerhalb des Lagergeländes. US Ecology beschuldigte Saboteure aus den Reihen der Umweltschützer. Nach den Tritiumfunden in Tiefen von 120 Metern gilt Beatty heute als „hochkontaminiert“. Die Sanierung bezahlt der Staat Nevada.
– Sheffiel/Illinois: 1977, zehn Jahre nach Öffnung der Lagerstätte durch US Ecology, stellten Wissenschaftler die radioaktive Verseuchung des nahegelegenen Forellensees fest. US Ecology verließ die Lagerstätte. Erst nachdem der Staat und die Atomaufsicht der Bundesregierung vor Gericht gingen, begann US Ecology mit Sanierungsarbeiten. Den Schaden von zirka 500 Millionen Dollar trägt vor allem der Staat Illinois.
– Maxey Flats: Vor der Erbauung dieser Müllkippe versicherten US-Ecology-Experten, Plutonium würde in 24.000 Jahren ganze zwei Zentimeter weit wandern. Zehn Jahre später ergaben Messungen eine radioaktive Verseuchung zwei Meilen von der Lagerstätte entfernt. Studien des US-Umweltministeriums (EPA) zeigten, daß Plutonium, Strontium, Tritium, Caesium und radioaktiver Kobalt aus der undichten Lagerstätte gesickert waren. Das EPA rechnet seither Maxey Flats zu den schlimmstverseuchten Stellen des Kontinents. Die „Aufräumkosten“ von 100 Millionen Dollar trägt der Staat Kentucky.
Gouverneur Wilson besteht trotzdem auf US Ecology als Partner. Wie sagt die Sprecherin des kalifornischen Gesundheitsministeriums so treffend: „Wenn es um radioaktive Lagerung geht, haben wir die Wahl zwischen Firmen mit Pannenerfahrung – oder Firmen ohne Erfahrung.“ Die Frage der radioaktiven Müllbeseitigung stellt sich bereits seit zwei Generationen. Noch immer gibt es keine ungefährliche Methode der langfristigen Lagerung. Die Bewohner von Needles haben kein Vertrauen mehr in Sachverstand und Verantwortungsgefühl ihrer Regierung und US Ecology. Oder wie Bürgermeister Mills es ausdrückt: „Da reden die immer von modernen Methoden. Ich weiß nicht, was die meinen: Ein Loch buddeln, das Zeug rein, Loch zu – was soll denn daran wissenschaftlich sein? Mein Hund macht das auch so!“
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