: Prinzen aus Papier
■ Scherenschnitt-Virtuosin kämpft in Bremen für die Schönheit der Kunst
atherina von Sentivan ist eine auffällige Erscheinung. Kinder glauben, sie hätten eine leibhaftige Märchenoma vor sich, wenn sie sie auf dem Bremer Weihnachtsmarkt sehen. Und wenn die Frau mit den rosigen Backen, den wachen blauen Augen unter dem zum Knoten gebundenen Haar, mit dem karierten Wolltuch um die Schultern und der goldenen Bordüre am langen Rock zur Schere greift, spätestens dann sind auch die Erwachsenen fasziniert: Geschwind kurvt Frau von Sentivan das schwarze Papier durch die Klingen und schneidet, die Augen allein auf ihr Gegenüber gerichtet, dessen Konterfei aus. Binnen einer Minute löst sie das perfekte Profil aus dem Papierbogen.
Catherina von Sentivan ist eine von vielleicht vier, fünf Menschen in Deutschland, die diese viertausend Jahre alte, aus China nach Europa importierte Kunst des Scherenschnittes noch beherrschen. „Das ist eine Gabe“, sagt sie, „das kann man nicht erlernen“. Doch selbst ein Talent bedarf günstiger Voraussetzungen, um sich so zu entwickeln wie bei ihr. Vater und Großvater waren Kirchenmaler, und so lernte die kleine Catherina schon früh, mit dem Zeichenstift umzugehen. „In unserem Haus wurde immer viel gemalt und gezeichnet, das Künstlerische spielte eine große Rolle. Ich war von Skulpturen umgeben, von Musik und Büchern.“
Demgegenüber waren die Lebensbedingungen der Familie Sentivan, deren Vorfahren als Donauschwaben zunächst im österreichischen Ungarn siedelten, schließlich vertrieben wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien zwangskaserniert oder nach Rußland verschleppt wurden, stets geprägt vom Flüchtlingsdasein und Minderheitenstatus. „Da ist die Schwabitza“, riefen die Mitschüler der kleinen Catherina nach, als sie in Sonnhofen, das im heutigen Serbien liegt, zur Schule ging.
Als Neunjährige fertigte sie ihre ersten Scherenschnitte, kindgemäße Märchenfiguren. Als 13jährige verfiel sie einer langen Serie von Prinzen, bis sie siebzehnjährig die Welt der realen Gesichter entdeckte. Nur ein Hobby, mehr war es zunächst nicht. 1959 begann sie ein Sprachstudium in Zagreb und erhielt fünf Jahre später nach ihrem Umzug nach Deutschland eine Stelle als Dolmetscherin bei der Deutschen Welle. Dem Scherenschnitt aber blieb sie treu. Die Leidenschaft wurde zum Beruf, nachdem Catherina von Sentivan 1987 ihr goldenes Armband versetzt hatte, um der Tochter eine Fahrt nach Schweden zu finanzieren. Das Geld war knapp geworden, weil die Mutter ihrerseits ein Medizinstudium aufgenommen hatte. Was also tun, um das Armband wieder auszulösen?
Catherina von Sentivan holte Erkundigungen bei einem Scherenschnitt-Kollegen ein. Die Konkurrentin fürchtend, empfahl dieser ausgerechnet Minden für ihr Straßendebut. „Schöne Passage, aber abends ist es da tot“, erinnert sich die heute 57jährige. Doch wie es der Zufall will: Unter all den Gestrandeten, die an Frau Sentivans Staffelei treten und ihr Leid klagen – „ich bin da ja wie angebunden“ – war auch eine „ulkige Dame“, die ihr vom Bremer Freimarkt erzählte. Tags drauf brach Frau Sentivan auf, das Glück in Bremen zu suchen. Zwar verfehlte die Ortsunkundige den Freimarkt, stieß jedoch auf den Historischen Markt. Das war vor acht Jahren.
Seither kommt sie regelmäßig zum Historischen und zum Weihnachtsmarkt. Für dessen 20tägige Dauer hat sie ihr Domizil in der Worpsweder Jugendherberge aufgeschlagen und fährt von dort täglich, Staffelei und Korb unterm Arm, zum Ort ihres künstlerischen Schaffens. Dazu braucht es zum Glück nicht viel Werkzeug. Es reichen Papier und Schere, und selbst damit ist Catherina von Sentivan nicht wählerisch: „Ich kann auch mit der Gartenschere schneiden, wenn's nottut.“ Am liebsten ist ihr jedoch eine kleine Schere, die schon alt und vom Gebrauch gängig ist. „Das schont die Muskeln und Sehnen“, meint die 57jährige und lächelt dabei.
Das Geschäft in Bremen läuft gut. Frauen und Männer, junge wie alte, wollen einen Miniaturschnitt des eigenen Profils erstehen. Darunter auch Sammler der zehn Mark leichten Kunstobjekte. Übersehen fühlt sich Catherina von Sentivan eigentlich nur von einer ganz bestimmten Sorte von Männern, die ihr besonders am rathausnahen Platz in Bremen auffallen: Sie wirken groß, tragen blaue Mäntel, tun geschäftig und treten immer in Gruppen auf. „Die“, meint die Künstlerin, „nehmen mich gar nicht wahr.“
Dabei nutzt Catherina von Sentivan das scharfe Gerät durchaus zum Schmeicheln. Doppelkinne oder Hakennasen fallen als Altpapier zur Erde. „Ich betone das Schöne am Menschen“, unterstreicht die gemütliche Dame, ja, Kunst, meint sie, sei dem Schönen regelrecht verpflichtet: „Kunst ist wie das Streicheln der Seele.“ Schon darum wird die 57jährige agile Medizin-Studentin niemals damit aufhören: „Ich mache das, solange ich wackeln kann.“ dah
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen