: Türkei will erstes Atomkraftwerk
Energie- und Umweltminister sind sich einig: Die Türkei braucht alle zwei Jahre ein AKW. Stauseen und Strom gibt es genug, sagen Umweltgruppen und sprechen von Korruption ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Der Bau des ersten türkischen Atomkraftwerkes ist in unmittelbare Nähe gerückt. Gestern erschien im amtlichen Gesetzesblatt die Ausschreibung über Bau und Betrieb eines Atomkraftwerkes in Akkuyu nahe der südöstlichen Mittelmeerstadt Mersin. Nach Auskunft des Energieministeriums werden sich zahlreiche internationale Firmen an der Ausschreibung beteiligen. Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und den USA haben schon vorher Interesse bekundet.
Die Errichtung eines AKW mit zwei Blöcken, die jeweils 600 Megawatt Strom liefern, stand seit über einem Jahrzehnt auf der Tagesordnung türkischer Regierungen. Energieminister Recai Kutan feiert daher die Ausschreibung. Im nächsten Jahrzehnt – so der Energieminister – benötige die Türkei alle zwei, drei Jahre ein neues AKW. Im Jahr 2010 projiziert die Energiebehörde einen Energiebedarf von 60.000 Megawatt. Der Bau des AKW wird auch von Umweltminister Ziyaettin Tokar von der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ gefördert, der schon immer die „Vorzüge der Atomenergie“ gepriesen hat: „Wir sind statt Kohlekraftwerke für Atomkraftwerke. Denn die belasten die Umwelt nicht in dem Maß, wie Kohlekraftwerke.“ Die Ausschreibung wurde möglich, nachdem türkische Umweltorganisationen im April vor dem Verwaltungsgericht einen Prozeß verloren hatten.
Der Vorsitzende des Verbandes der Umweltingenieure, Rifat Göksu, spricht vom „furchtbaren Druck der Atomkraftlobbyisten“, der die Entscheidung erst möglich gemacht habe. Die Sprecherin der Umweltgruppe „SOS Mittelmeer“, Nesrin Timur, meint, daß Schmiergelder eine wichtige Rolle gespielt haben. „Wie ist es sonst möglich, daß in der Türkei, die über ein ungeheures Energiepotential verfügt, alternative Energiequellen wie Wasser, Wind und Sonne nicht berücksichtigt werden.“ Aufgrund der Topographie verfügt die Türkei über zahlreiche Wasserkraftwerke, deren Potential längst nicht ausgeschöpft ist.
Amtliche Irreführung der Bürger über die Gefahren von Radioaktivität gehört zum politischen Alltag in der Türkei. Nach dem Gau in Tschernobyl war radioaktiv verseuchter Tee über das staatliche Monopol in den Handel gebracht worden. Demonstrativ trank der damalige Staatspräsident Kenan Evren vor Fernsehkameras Tee und verkündete: „Radioaktivität schadet Türken nicht.“ Umweltorganisationen erheben den Vorwurf, daß die zahlreichen Stromausfälle in diesem Jahr von der Energiebehörde inszeniert wurden, um ein angebliches Energiedefizit und die Notwendigkeit von AKW zu propagieren.
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