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Kein Freispruch für den Reaktor

Streit um Leukämieforschung: Ökoinstitut wirft Kieler Energieministerium eine falsche Interpretation seiner Atom-Studie vor  ■ Von Marco Carini

Eine „ärgerliche Interpretation unseres Gutachtens“, rügt Jörn Ehlers, Pressesprecher des renomierten Öko-Institutes, Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller (SPD). Der gescholtene Minister hatte gestern mittag in Kiel mitgeteilt, das von ihm mit einer Studie zum Gesthachter Forschungsreaktor „GKSS“ betraute Institut hätte „keine Hinweise gefunden, daß dessen Betrieb mit den Leukämiefällen in der Elbmarsch in Verbindung“ zu bringen sei.

Die Studien-Ersteller aus Darmstadt sehen das anders: „Das Gutachten ist kein Freispruch für die GKSS“. Einig sind sich Ministerium und Institut darin, daß die knapp 600 Seiten starke Studie keinen Nachweis bringt, daß aus dem Geesthachter Forschungsreaktor radioaktive Strahlung oberhalb der zugelassenen Grenzwerte entwichen ist. Doch damit endet auch schon die Gemeinsamkeit. Während Möller den Wissenschaftler-Innen unterstellte, ihre Beurteilung würde „manchmal am Rande einer realistischen Betrachtung liegen“, werfen diese ihm eine Ausblendung wichtiger Aussagen der Studie vor. Ehlers: „Die Studie weist eindeutig große Lücken in der Überwachung des Reaktors nach. Genau deshalb können wir nicht ausschließen, daß es zu unerkannten relevanten Freisetzungen gekommen ist, die von keinem Meßinstrument erfaßt wurden“.

Zu Freisetzungen habe es auch kommen können, so Öko-Institut-Geschäftsführer Uwe Ilgemann, wenn die Lüftung des Forschungsreaktors ausgefallen sei oder bewußt gegen Betriebsbestimmungen verstoßen wurde. Ilgemann weiter: „Wir können solche Regelverstöße nicht ausschließen“.

„Es gibt aber auch keine Anhaltspunkte dafür“, kontert Energieminister Möller. Seine Behörde habe so auch bislang nur „eine Reihe kleinerer Verbesserungsmöglichkeiten festgelegt“, mit denen die Kontrolle effektiviert werden soll. Allerdings will Möller den Reaktor zukünftig in die „Kernreaktorfernüberwachung“ einbeziehen.

Pikanterie am Rande: Kurz bevor es gestern zum Knatsch zwischen Ministerium und Ökoinstitut kam, hatte Claus Möller den Atomexperten des Öko-Instituts, Lothar Hahn, bereits mit einer weiteren Studie betraut – diesmal zum Atommeiler Krümmel, der ebenfalls in Verdacht steht, die Leukämiehäufung ausgelöst zu haben. Hahn soll untersuchen, welche „Bedeutung für die Schadensvorsorge“ die bekanntgewordenen „Abweichungen“ beim Bau des Reaktordruckbehälters haben.

Damals, 1972, wurden nicht exakt aufeinander passende Stahlbleche mit hydraulischen Pressen so lange verformt, bis sie miteinander verschweißt werden konnten. Zudem weist der verwendete Stahl Verunreinigungen auf. Bevor Hahn die Schlampereien auf ihre Gefahrenpotentiale hin untersucht, soll noch ein anderer Gutachter tätig werden. Der Berliner Rechtsanwalt Reiner Goilen soll im Auftrag des Energieministeriums klären, ob der Pfusch am Bau auch „genehmigungsrechtliche Konsequenzen“ für das AKW haben kann.

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