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Segen für Eugen

Ganz nahe bei Gott: Die Baubehörde, wie sie keiner kennt, nämlich fromm und bibelfest  ■ Von Marco Carini

Wenn Behördenmitarbeiter beten. Acht Herren, keiner jünger als Mitte vierzig, sitzen andächtig um genausoviele Kerzen herum. Sie falten die Hände und preisen den Herrn. Hans-Friedrich Hintze interpretiert den Psalm 111. Er spricht von Zweifeln und Gerechtigkeit. Doch Hintze ist kein Pastor, er ist Mitarbeiter des Hamburger Rechnungshofes. Die Stätte der Andacht ist keine Kirche, sondern das Turmzimmer der Baubehörde, ganz oben im dritten Stock. Mit Blick gen Himmel durch 16 halbkreisförmig angeordnete Fenster. Näher bei Gott kann man in diesem Gebäude nicht sein.

Gerd Hille, ein in Ehren ergrauter Mitarbeiter der Behörde, greift schwungvoll in die Saiten seiner Gitarre. Schmettert aus voller Brust ein „Komm in unsere Mitte, o Herr, o Herr, o Herr“. Die anderen Anwesenden, allesamt in graue Anzüge verpackt, stimmen ein. Die einen schüchtern-sonor, die anderen mit vollem Stimmvolumen. Hille – seit einem Jahr bei den regelmäßigen Andachten dabei – greift immer wieder die Akkorde D-G-A-F: „Jesus, wir warten auf dich!“

Doch niemand kommt. Nach acht Jahren – jeden Montag um 7.45 Uhr – hat der behördliche Bibelkreis seinen Andachttermin erstmals öffentlich gemacht, hat Einladungen an die schwarzen Bretter in verschiedenen Amtsfluren gepinnt. Erfolglos. Kein neues Gesicht hat sich zur „Andacht im Advent“ blicken lassen. Doch im „kleinen Rahmen“, deutet Hintze die andächtige PR-Aktion flugs in einen Erfolg um, fühle man sich „sowieso am wohlsten“.

Der kleine Kreis, der da im Turmzimmer den Wochenbeginn zelebriert, ist in Wirklichkeit ein breites, klassenloses Bündnis. Freikirchler, Methodisten und Evangelen lobpreisen hier einträchtig ihren Oberhirten ganz oben, und „auch eine Katholikin“, bemerkt ein bibelfester Behördler stolz, habe sich bei den Andachten schon mal blicken lassen. Der einfache Sachbearbeiter lege hier seine Sorgen auf den Tisch, und auch ein leitender Baudirektor falte im Turmzimmer regelmäßig die Hände. Die Andacht gleicht allerdings einer frauenfreien Zone. Aber, verwahrt sich Baubehörden-Mitarbeiter Gerd Suchanek gegen jede Quoten-Debatte, regelmäßig am Mittwoch treffe sich in seinem Amt auch noch ein „Frauenkreis“. Außerdem arbeiteten in der Behörde „fast nur Männer“. Wo soll man(n) da weibliche Gottesanbeterinnen hernehmen?

Auch „junge Mitarbeiter“ gebe es – dem sparbedingten Einstellungsstop sei Undank – zumindest in der Baubehörde und der benachbarten Finanzbehörde kaum, so daß der andächtige Kreis ein wenig überaltert sei. Zudem, so gibt Gerd Hille zu bedenken, habe die konzentrierte Hinwendung zu Gott auch „irgend etwas mit persönlicher Reife zu tun“. Und „viele meiner Kollegen“, so hat er bemerkt „finden es ganz erstaunlich, was ich hier mache“.

So bleibt der kleine Kreis unter sich. Dankt dem da oben für die Möglichkeit, „sich hier regelmäßig treffen“ und anschließend „mit den Problemen des Alltags gelassener umgehen zu können“. Bei einer gelungenen Andacht darf natürlich auch in der Behörde die Bitte um Geleit von oben nicht fehlen. Auch die Amtsleitung um Bausenator Wagner wird ganz herzlich in die Gebete der Beamten mit eingeschlossen. Der fromme Wunsch: Segen für Eugen.

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