piwik no script img

■ Schöner lebenDer Obsttag

Im Dezember? Vor Weihnachten? Macht die „Brigitte“ jetzt schon vor dem Festtags-Schmausen mit der neuen Frühjahrs-Diät auf? Interessieren im Moment irgend jemanden Kalorien, Pfunde, Vitamine? Nein, die taz hat sich ausnahmsweise nicht im Datum geirrt: Es soll hier saisongemäß um die Besinnlichkeit gehen. Und natürlich um eine Prise Melancholie. Genauer um die Begehung des Tages der Tage.

Heiligabend ist bei uns in der Familie Obsttag. Das ist jetzt ein etwas saloppes Resümee (typisch Tochter). Denn bis es zum nämlichen Verzehr – eines Apfels – kommt, haben auch wir schon einiges Nahrhaftes zu uns genommen. Acht verschiedene kleine Gerichte. Pellkartoffeln mit Fisch. Butterbrot mit Honig, getrocknete Feigen, Datteln, Pflaumen, Plätzchen usw. So will es die Erinnerung unserer Eltern an das Weihnachtsfest im Bäderdreieck Marienbad-Franzensbad-Karlsbad, Egerland. (Nächste Verwandten bestätigen diese.)

Auch ohne Gans oder Turkey verlangen also unsere Mägen am Ende nach dem Schnaps. Und dann kommt er, der Apfel. Sie lesen richtig: einer für alle. Eine schöne Geschichte wird über ihn erzählt. Er hat die Kraft, vom Wege Abgekommene wieder zurück auf eben denselben zu führen. (Laut Aussage der Familienmitglieder wurde ihm das bereits einige Male auch zugeschrieben.) Mit einer Wirkung individuellster Art. Wilhelm Tacke, Sprecher der katholischen Kirche in Bremen, schrieb am Wochenende in dieser Zeitung, Menschen glauben an Engel, weil sie Gott nicht zu nahe kommen wollen. Ich assoziiere hiermit: Ich glaube an Äpfel.

Der an diesem (Obst-)Tage auch immer wieder gern vernommenen Folgeanekdote ist allerdings nicht so leicht nachzugeben: Zu Mitternacht begab sich ehedem die Familie, nicht die Heilige, sondern die reale, in die Stallungen zum Zwiegespräch mit dem Vieh. So beteuern es zumindest die älteren Generationen, die damals unter zehn Jährigen hingegen berichten: „Wir haben nichts gehört.“ Müßte ich Nachgeborene mich also entscheiden zwischen dem Zuspruch eines Rindes und dem eines rotwangigen Apfels, ich glaube, ich bliebe beim Obst. Silvia Plahl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen