: Glücksmomente durch Oratorium
■ Die Kammerphilharmonie setzte musikalische Akzente mit Bachs „Weihnachtsoratorium“ und moderner Kammermusik
Alle Jahre wieder: Bachs Weihnachtsoratorium. Muß das sein? Eine Antwort auf derartige Skepsis kann nur die jeweilige Aufführung geben, und die bewies: Es muß sein. Denn was da an federnder Transparenz, an hinreißenden Bläserfarben, an rhythmischem Drive und an atmosphärischer Dichte unter der Leitung von Thomas Hengelbrock am Freitag und Samstag in Unser lieben Frauen zu hören war, setzt gegenüber den zum Teil sehr guten Aufführungen in Bremen doch noch einmal einen eigenen Akzent.
Nämlich neben der instrumentalen Leistung auch ganz besonders duch die SängerInnen des von Hengelbrock 1991 gegründeten Balthasar Neumann-Chores, der mit einer zwanzigköpfigen Besetzung nicht nur den Bach'schen Klangproportionen Rechnung trägt, sondern auch der damaligen Aufführungspraxis, indem die Solisten Mitglieder des kleinen Chores sind. Das waren ein absolut natürlich singender Altus Bernhard Landauer, die bewegenden Sopranistinnen Gundula Anders und Mona Spägele und die charakteristischen Baritone Eckehard Abele und Johannes Happel.
Darüber hinaus nutzte Hengelbrock die dramatischeren Abschnitte der Kantaten IV, V und VI, um ein lebhaftes Ineinander der Volkschöre, der betrachtenden Arien und der stets inhaltlich motiviert gesungenen Choräle zu gestalten.
Wie Hengelbrock die Atmosphäre einer Arie gewissermaßen aus den Rezitativen herauszog, gehörte zu den Glücksmomenten der Aufführung. Das lag allerdings auch an Christoph Prégardien, dessen vibratoloser Erzählgestus ihn heute zu einem der ganz großen Evangelisten macht. Dies gilt nicht weniger für die geradezu charismatische Ausstrahlung seiner Arien.
Am Sonntag morgen gab es dann bei Radio Bremen mit Barbara Kummer, Violine, und Klaus Heidemann, Viola, eine beispielhafte Konfrontation von Alt und Neu mit Mozarts ordentlich gespieltem Klavier- und Oboenquartett und Werken von Giacinto Scelsi und Luciano Berio.
Scelsis „To the master“ für Cello und Klavier – ungemein intensiv gespielt von Marc Froncoux und Christian Hommel – lebt aus der Spannung der ganztönigen Klavierlinie mit den Vierteltönen des Cellos. Und mit Berios berühmter „Sequenza“ für Oboe gelang Christian Hommel eine hochvirtuose Atem- und Klangstudie über dem Ton „h“.
Ein Vorgeschmack auf die Radio Bremen-Reihe der Deutschen Kammerphilharmonie im nächsten Jahr, wie man sich ihn kaum besser vorstellen könnte. Dann soll es nämlich in sieben Konzerten um Schubert und je einen modernen Komponisten gehen.
Ute Schalz-Laurenze
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