Kummer mit den Kommunisten

Gesichter der Großstadt: Erwin Moser aus Reinickendorf ist 90 und seit 70 Jahren in der SPD. Eine Zusammenarbeit mit der PDS will er auf keinen Fall  ■ Von Jens Rübsam

Die Partei liegt im Schreibtisch und steht im Regal. In der oberen Schublade das Buch mit den vielen Marken, ganz unten im Regal das Buch mit den vielen Namen und Daten. Das Parteibuch ist ein wenig zerfleddert, die „Geschichte der SPD“ ist ein dicker Schinken und ein wenig angestaubt. In beiden hat Erwin Moser schon lange nicht mehr geblättert. Nur jetzt noch mal, anläßlich des Jubiläums.

Die Reinickendorfer SPD hat ihr langjähriges Mitglied Erwin Moser ausgezeichnet und ihm ein Buch geschenkt („Otto Suhr – Im Schatten von Ernst Reuter und Willy Brandt“). Oskar Lafontaine hat Glückwünsche ausrichten lassen und eine Urkunde unterschrieben („70 Jahre in Treue unserer Parteiverbundenheit“). Und die Zeitung hat sich angemeldet. Da hat er nachschauen müssen, wann er eigentlich eingetreten ist in diese SPD. Am 18. Januar 1926 war es. Ein Tag vor seinem 20. Geburtstag. „Das habe ich erst jetzt mit Verwunderung festgestellt.“

Erwin Moser lehnt sich zurück in seinem Sessel. Er macht es sich bequem. Gerade so, als ob er den Zustand seiner Partei be-sitzen wolle. „Man hat das Gefühl, es muß etwas geschehen in diesem Land, aber man weiß nicht so richtig, was.“ Er zupft seine Strickjacke zurecht und sagt: „Vor einigen Jahren wäre es doch ganz unvorstellbar gewesen, daß Reinickendorf nicht von einem Sozialdemokraten regiert wird.“ Im Rathaus hat jetzt die CDU das Sagen. Und eine Frau ist Bürgermeister. „Ganz unvorstellbar“, sagt Erwin Moser.

Früher hat er Kummer gehabt mit den Kommunisten. Die waren stark im Prenzlauer Berg, „vor allem in der Ecke Duncker-/Schliemannstraße“. Er hat nur ein paar Straßen weiter gewohnt, in der Gaudystraße, „die war sozialdemokratisch“. Da ist er aufgewachsen, ist in die SPD eingetreten, „weil sich das für einen Arbeiter so gehörte“. Er hat beim „Reichsbanner“, der Sozi-Jugend-Organisation, mitgemacht, ist zu Gruppenversammlungen ins Lokal „Böhm“ gegangen und in die Linienstraße zum Metallarbeiterverband. „Ich war für die Berufsgruppe der Elektroinstallateure zuständig“, erzählt er.

Seine Biographie, sorgfältig abgetippt, besteht aus Jahreszahlen von/bis, vielen Doppelpunkten und dahinter geschriebenen Namen von Betrieben und seiner jeweiligen Aufgabe. Immer hatte es etwas mit Metall und Elektro zu tun. Erwin Moser war immer Arbeiter, wie er immer Sozialdemokrat war. Auch in schweren Zeiten. „Ich war nicht in der HJ, das wäre für mich nie in Frage gekommen.“ Er sei nicht so ein Umfaller gewesen, wie manche KPDler, die auf einmal bei den Nationalsozialisten mitmachten.

Was war Erwin Moser? Ein Mitglied. „Ein einfaches SPD- Mitglied.“ Als der Führer jungen Familien ein Ehestandsdarlehen anbot, um ihnen das Zeugen von Kindern zu versüßen, da hat auch er einen Antrag gestellt. „Ich hatte ja kein Geld und war froh, die 2.000 Reichsmark zu bekommen.“ Eine kleine Wohnung hat er sich eingerichtet in der Kastanienallee und das Darlehnen nie „abgekindert“. Ein Kind war 500 Reichsmark wert. 1936 wurde sein erstes geboren, dann kam der Krieg, und die Sache mit dem Darlehen verlief sich irgendwie. Er hat auch den Völkischen Beobachter gelesen, als der Vorwärts verboten wurde. „Man wollte doch eine Zeitung haben.“ Er war nicht im Krieg, weil seine Arbeit im Bezinwerk gebraucht wurde. Nur zuletzt, „ein paar Tage vor Schluß“, wurde er als Soldat nach Potsdam geschickt. Er kam fünf Monate in russische Gefangenschaft, „irgendwo hinter Köpenick“. Er mußte in der Landwirtschaft arbeiten, „es war ganz nett da“. Die Russen seien anständig gewesen.

Er kam zurück nach Reinickendorf, in jenen Stadtteil, in den er 1938 gezogen war. Er ging wieder zu Versammlungen der SPD-Bezirksgruppe, und er hat gegen die Vereinigung mit der KPD gestimmt. „Alle im Westteil der Stadt waren gegen die Vereinigung.“ Nur im Osten entstand aus SPD und KPD die SED. Die Folgen hat er zu spüren bekommen, „meine Eltern lebten ja noch drüben im Prenzlauer Berg“. Als seine Mutter 1966 starb, war die Mauer fest und für ihn undurchlässig. „Ich durfte nicht mal zur Beerdigung.“ So war das damals.

Soll die SPD mit der PDS liebäugeln? „Nein“, sagt Erwin Moser, „auf gar keinen Fall.“ Da habe er seine Meinung und zu schlechte Erfahrungen mit den Kommunisten gemacht. Vielleicht gebe es in Berlin zur Großen Koalition im Moment tatsächlich keine Alternative. Und vielleicht sei der Kohl ja wirklich „der geeignete Mann für jetzige Verhältnisse.“ Vielleicht seien aber auch nur die Verhältnisse so schlecht. Aber wer könne das schon sagen?