Durchs Dröhnland: Schnittstelle Salon
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Country wird gern als etwas zutiefst Heiliges rezipiert. Der Sänger, nur teilweise versteckt hinter seiner Gitarre, geht an die Extreme der Seelenzustände. Als könne man nicht traurig sein, ohne dem Selbstmord nahe, als könne man nicht schuldig sein, ohne gleich verdammt auf immer und ewig zu sein.
Mir haben die letzten beiden Platten von Johnny Cash auch sehr gut gefallen. Aber schön ist da doch auch einmal der Ansatz von Blood on the Honky Tonk Floor, die Country nur mehr als Folie aus zweiter Hand nehmen und gerade deshalb die Details exakt rekonstruieren. In einem Anflug von Big-Band-Wahnsinn dudeln die Berliner das schwermütige Genre, ohne es jemals zu verraten, zu ungeahnter Leichtigkeit. Die Instrumente nur mehr ganz leicht berührend, wird aus dem Blues des weißen Mannes plötzlich eine Alternative zum Easy Listening für die cocktailschwenkenden Söhne und Töchter reicher Eltern.
Mit Les Hommes Sauvages, 27.12., 22.30 Uhr, Roter Salon, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Lutz Ulbrich ist ein Überlebender des Krautrock, einer, der mit Agitation Free und Ash Ra Tempel die Elektronik entdeckte, mit Klaus Schulze abgehangen hat, jahrelang für Nico die Gitarre spielte, Heroin überlebte und dann doch nicht vom Fahrrad gefallen ist.
Inzwischen ist Lutz Ulbrich ein freundlicher Mann mittleren Alters, der unter seinem Pseudonym Lüül im letzten Sommer eine Platte herausgebracht hat, die so was von außerhalb aller Zeitumstände steht, daß sie fast jenseits von Gut und Böse ist. Als Nebenprojekt betreibt Lüül mit befreundeten Musikern die 17 Hippies. Ein Salonorchester nennt er es selbst und man spielt Walzer, Klezmer, polnische Weisen, alte Schlager und auch mal den Kriminal-Tango. Möglicherweise hat da jemand ja die Schnittstelle zwischen Krautrock und Easy Listening gefunden, auch wenn bisher niemand ausdrücklich danach gesucht hat.
28. 12., 20 Uhr, Bellevue,
Flensburger Straße 11–13
Der mittelalterliche Mensch hatte seinen Spaß nicht nur beim Foltern und Folianten vollschreiben, nein, er machte manchmal auch Musik. Die hörte sich ungefähr so an, wie die, die heutzutage zur Beschallung von Boxkämpfen dient. Es gibt auch welche, die eigentlich Punkrocker sind oder vielleicht sogar Metallarbeiter und trotzdem nicht gegen ein knackiges Kyrieeleison einzuwenden haben. Dazu gehören neben den unaussprechlichen Inchtabokatables auch Subway To Sally aus Potsdam und Berlin.
30. 12., 20 Uhr, Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76, Potsdam
Largo sind ein Trio aus zwei Belgiern und einem Marokkaner, die sich zwar ausdrücklich auf arabische Musik berufen, aber diese ständig erweitern durch Anklänge an Jazz und westliche Popmusik. Da kann dann auch die euphorische Trompete einer Filmmusik erschmettern und alles fügt sich zu einem stimmigen Ganzen, das es nicht nötig hat, auf seiner Authentizität herumzureiten – und auch noch Popschemata erfüllt, ohne sich anzubiedern. Live muß die Band allerdings den komplexen Sound durch Einspielungen unterstützen, weil man auch auf der Bühne gern Trio bleibt.
Mit Kadda Cherif Hadria, 31. 12., 22 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176
Den Silvesterabend begeht das wohlrenommierte Hamburgische Plattenlabel L'Age D'Or mit einer Party seiner berühmten Angestellten. Nur leider feiern die natürlich in Hamburg. Wir hier in der Hauptstadt (auch kein Trost) bekommen einen Tag später immerhin die Brotkrumen. Sollten sie den Jahreswechsel überlebt haben, sind angekündigt: Rocko Schamoni, der nicht mehr King genannt werden soll; Schorsch Kamerun, der nicht immer eine goldene Zitrone ist; Tulip, die in der an Pophoffnungen nicht gerade armen Hafenstadt momentan gerade beflüstert werden; außerdem: die Looney Tunes, die Disco Bros. und noch ein paar DJs.
1. 1., ab 20 Uhr, Volksbühne, ab 24 Uhr DJs im Roten Salon Thomas Winkler
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