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Traum am Wasser

Theater, Politik, Befindlichkeiten: Das Land Brandenburg muß an der Kunst sparen und verwickelt sich bei der Problemlösung bis zur Reglosigkeit  ■ Von Nikolaus Merck

Potsdam hat ein Problem mit seinem Theater. Dem Hans-Otto-Theater fehlen die Zuschauer. Nach Lage der Dinge, so ein märkischer Spötter, wäre es billiger, jeden einzelnen Potsdamer Theaterbesucher mit dem Taxi an ein Berliner Theater seiner Wahl zu chauffieren, inklusive des Eintritts, eines Glases Sekt und einer Bockwurst. Wie also wär's mit Schließung? Um Gottes willen, rufen Potsdams Politiker, wir wollen unser Theater erhalten.

Doch obwohl Potsdam die wohlhabendste Stadt in Ostdeutschland ist, sehen sich die gleichen Politiker nicht in der Lage, ihr Theater mit den zum Überleben notwendigen Geldern auszustatten. Anders als etwa im kleineren und bitterarmen Schwerin. Also doch Schließung? Nur scheibchenweise? „Nein, wir bekennen uns zum Theater. Aber“, präzisiert Kulturdezernent Claus Dobberke, „die Stadt will auch ein Theater, wo die Leute hingehen. Und das ist nicht in ausreichendem Maße der Fall.“ Nicht in jedem Fall aus Neigung, vielmehr weil in Ostdeutschland das Theater traditionsgemäß zum metaphysischen Kernbestand des Gemeinwesens gehört, wagt es kein Politiker, offen die Schließung des Theaters zu fordern. Noch nicht.

Der Kampf um die Zuschauergunst ist für das Potsdamer Hans- Otto-Theater (HOT) ein Kampf mit den Gespenstern der Vergangenheit. Als die Sprechtheater noch den kollektiven Unmut der Bevölkerung zwischen die Zeilen der Klassiker packten. Und mit ihrem verklausulierten Löcken wider den Stachel die fehlende Debatte in der Öffentlichkeit ersetzten. Gerade das HOT hatte darin eine große Tradition, erzählt Juliane Nitzsche, PDS-Frontfrau im Kulturausschuß der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung.

Theater müßte die Not wenden können

Mit der Wende sei diese Tradition abgerissen. Neue Intendanten kamen aus dem Westen, mit neuen Konzepten und neuen Leuten, die die alten Identifikationsfiguren nicht ersetzen konnten. Stefan Märki, seit drei Jahren Intendant, habe inzwischen selbst begriffen, „wie es in der Stadt läuft“ und daß man in der Kultur nicht über Nacht „etwas Neues“ machen könne. Deshalb habe er jetzt Leute, die schon früher in Potsdam waren, um sich geschart.

In Potsdam ist die moralische Anstalt Theater gefordert, meint Claus Dobberke. Denn „Industrieproletariat“ und das Personal von Grenztruppen und Stasi („Intellektuelle“ sagt Frau Nitzsche), die nach dem Mauerbau in der Grenzstadt Potsdam die abgängigen Bürger ersetzt hatten, laborierten noch immer an der Vereinigung. „Die Leute dachten, sie können ein bißchen Demokratie haben, die West- Mark bekommen, aber ihre anderen Befindlichkeiten behalten“, beschreibt Dobberke, der als Parteiloser auf dem Ticket der PDS- Mehrheitsfraktion zum Kulturdezernenten avancierte, die Potsdamer Gemütslage. „Rückgabe vor Entschädigung“ und „die Drittelgesellschaft“ sorgten für Frust ohne Ende. „Das Theater muß die Befindlichkeiten auffangen. Die Leute müssen sich im Theater wiederfinden.“ Aber „Akzeptanz“ gebe es eben nur, wenn sich Theater als notwendig im buchstäblichen Sinne, also als „Not wendend“, erweise.

Bloß – ob die Potsdamer Theaterpolitik dem Unternehmen Das- Theater-soll-die-Not-des-Volkes- wenden förderlich ist? Gerade wurde dem HOT der städtische Zuschuß für 1997 um eine halbe Million gekürzt. Nicht gut. Um zu sparen, wurde die Brandenburgische Philharmonie schon 1993 aus dem Theaterverband ausgegliedert. Und weil ein Fünftel der übrigen Beschäftigten in den letzten Jahren „abgewickelt“ worden ist, droht jetzt die Schließung einer Sparte. Nach einem Ausweg sucht René Serge Mund, der Verwaltungschef des HOT. Die Zeit drängt. Mitte Januar muß er der Stadt Konzepte vorlegen, wie der Spielbetrieb aufrechterhalten werden kann. Serge Mund, ehemals Banker in Diensten des Internationalen Währungsfonds und theatererfahren aus seiner Zeit am Berliner Ensemble und in Cottbus, fordert klare Entscheidungen von der Politik. Im Notfall auch gegen das Theater. Immer noch besser, findet er, als ein Tod auf Raten. Wie im Moment.

Glückhafte Entscheidungen allerdings sind wahrlich nicht Sache der Potsdamer Politik. Nach der Wende entschied man, den Rohbau auf dem Alten Markt abzureißen, der das Hans-Otto-Theater aus seinem 40jährigen Asyl in einer ehemaligen Tanzgaststätte in der Zimmerstraße befreien sollte. Der Theaterneubau stand dem Traum einer möglichen Rekonstruktion des einst gesprengten Stadtschlosses im Wege. Das nächste, bis in die Gegenwart währende Provisorium: ein Theaterzelt für kleine drei Millionen Mark. Das sich, einmal aufgestellt als gigantische, leere Wellblechbaracke entpuppte. Deren notwendige Zurüstungen verschlangen weitere 7 Millionen Mark, ohne etwas an der miserablen Akustik und den verfehlten Ausmaßen zu ändern.

Aus diesem bis 1999 befristeten Straflager sollte das Theater in einen gebauten Traum am Wasser übersiedeln. Schon war die Theaterleitung auf das letzte stadteigene Wassergrundstück umgezogen, und Millionen waren in die Planungen für ein multifunktional nutzbares Theaterzentrum investiert worden, als Baudezernent Detlef Kaminski plötzlich zum Rückzug blies. Weil das Land die angemessene finanzielle Beteiligung verweigere. Plötzlich war der alte Standort der neue: die Zimmerstraße, in die kein Weg, nie und nimmer, zurückführen sollte.

Liebt das Land seine Hauptstadt nicht?

In Potsdam gibt es Stimmen, die behaupten, den überraschenden Rückzug habe Herr Kaminski gedeichselt, um auf dem Wassergrundstück ein Musicaltheater anzusiedeln. Bemerkenswert jedenfalls, daß der Neuaufbau der Zimmerstraße gerade jene Summe kosten soll, die man für eine abgespeckte Version am Wasser benötigt hätte. Und an der zu beteiligen, in der geforderten Höhe, sich das Land klaglos bereit erklärt hatte.

Aber in den Augen der Potsdamer Politik ist das Land Brandenburg nun mal auf die Rolle des Schurken festgelegt. Das Land liebe seine Hauptstadt nicht, behandle sie vielmehr wie einen Haderlumpen. Der frühsommerlich ergangene Fusionsvorschlag des Kulturministers Steffen Reiche sei doch der beste Beweis. Nichts anderes als den Dolch der Abwicklung trage die Landesregierung im Gewande. Und das ist nicht einmal falsch.

„Sechs Theater und neun Orchester in der heutigen Form können wir auf Dauer nicht mehr erhalten. Bei 30 Prozent Unterbeschäftigung hat man noch andere Probleme“, sagt Minister Reiche. Deshalb schlug er eine Theater- Holding vor, die die seinerzeit aus dem Theater ausgegliederte Brandenburgische Philharmonie, das HOT und das Brandenburger Theater vereinen sollte. Mit dem Hauptziel, binnen dreier Jahre aus zwei Orchestern eines zu machen, um mittels dieser Sparmaßnahme das kulturelle Angebot in der Region zu sichern.

Womit er im Fettnapf Platz genommen hatte. Denn Potsdam liebt sein aufstrebendes Orchester, auch wenn es in der ungeliebten Blechbüchse spielt. Um just diesen Zustand zu beenden, leistet man sich die aufwendige Renovierung des barocken Nikolai-Saales. Und verbittet sich jede Diskussion über Sinn und Zweck eines symphonischen Klangkörpers in unmittelbarer Nachbarschaft zu Berlins acht Orchestern. Allenfalls eine Aufstockung der Philharmonie durch das Brandenburger Orchester konnte man sich in Potsdam vorstellen. Das begriffen die Brandenburger als Anschlag auf die Existenz ihres Theaters, zu Recht. Und lehnten rundweg ab.

Obwohl man in beiden Städten weiß, daß aus den abgemagerten Theatern kaum mehr ein Pfennig herauszupressen ist und allein die Verkleinerung der kostspieligen Orchester das benötigte Geld erbrächte, und obwohl die betroffenen Theater einer Fusion zuneigten, waren die Verhandlungen nach einem halben Jahr gescheitert. Statt dessen beschlossen die Potsdamer Stadtverordneten, die Philharmonie und das HOT selbständig weiterzuführen.

Also alles beim alten? Vorerst. Denn Potsdams Strategie setzt auf ein Wunder. Das selten geschieht. Aus den Zimmern des Kulturministeriums dringt das gedämpfte Hohnlachen. 60 Prozent des Theateretats trüge ohnehin schon das Land. Wenn Potsdam sich partout den Luxus eines großen Orchesters und eines Dreispartentheaters leisten wolle, dann sei das allein und ausschließlich die Sache Potsdams. Man werde ja sehen, wohin das führe.

So kann es geschehen, daß der Beschluß, die Philharmonie und das Hans-Otto-Theater zu erhalten, sich als Todesstoß für das Theater herausstellt. Wenn, ja wenn es den „Ottonen“ nicht schleunigst gelingt, die „Not“ der Potsdamer „zu wenden“. Wenn nicht, würde es sich vielleicht empfehlen, von den kärglichen Subsidien einen Wagenpark anzuschaffen. Um künftige Theaterbesucher nach Berlin zu kutschieren. Das wäre zumindestens ein einträgliches Geschäft. Für beide Seiten. Das Theater und die Politik.

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