: Extravagante Hochzeit im Regierungsviertel
■ Brautpaare sagen sich das Jawort neuerdings auf dem Schiff, im Knast oder im Kreißsaal. Auch wer außer Landes heiratet, entkommt den Standesbeamten nicht
Der schönste Tag des Lebens darf aus dem Rahmen fallen. Immer mehr Paare in Deutschland setzen bei der Hochzeitszeremonie auf Extravaganz. Die Brautleute fahren mit Rolls-Royce, Cadillac oder anderen Nobelschlitten beim Standesamt vor. Oder sie reiten auf ihrer Harley Davidson in Richtung staatlich sanktionierte Zweisamkeit. Das Standesamt in Mitte kommt dem Hang zum Ungewöhnlichen entgegen.
Mit Jahresbeginn können heiratswillige die Ehe in dem künftigen Regierungsviertel Mitte auch zu Wasser schließen. Die Standesbeamten haben die bürokratischen Hindernisse einer Schiffstrauung überwunden. Nun stehen zwanzig Schiffe zur Auswahl, auf denen Hochzeitsgesellschaften zwischen zehn und 400 Personen befördert werden können. Die Trauung kann mit und ohne Feier gebucht werden. Die bescheidenste Ausführung kostet 100 Mark. Auch gehobenen Ansprüchen will der Leiter des Standesamts, Rainer Ahnert, gerecht werden. Der Luxus hat seinen Preis: Für eine Rundumbetreuung müssen die HochzeiterInnen auf dem Fünf-Sterne- Schiff „Esplanade“ bis zu 15.000 Mark hinlegen.
Die ausgefallene Offerte erfreut sich großer Beliebtheit. Allein 1996 wurden mehr als vierzig Aufgebote dieser Art bestellt. Trotz schmalerer Geldbeutel lassen sich Braut und Bräutigam ihren Tag etwas kosten. Die meisten Paare heiraten heute erst mit Ende Zwanzig. Da bleibt Zeit zum „Ansparen“, meint der Standesbeamte Ahnert zu wissen.
Ebenfalls nicht alltäglich, wenngleich von äußeren Zwängen diktiert, ist die Trauung hinter Gittern. Je nach Sachlage vollzieht der Standesbeamte den feierlichen Akt im Knast, oder der Häftling wird im bürgerlichen Trauzimmer in Handschellen vorgeführt – mit mehreren Justizbeamten als ungeliebten Trauzeugen. Erst wenn alle Türen und Fenster des Raumes gesichert sind, fallen die Fesseln. Ein Jawort und es sind sogleich neue angelegt, diesmal fürs Leben.
Selbst der Kreißsaal ist gelegentlich Kulisse für das Jawort. Wird der anberaumte Hochzeitstermin durch vorzeitigen Nachwuchs über den Haufen geworfen, können die vom Kinde überrumpelten Brautleute die Ringe auf Wunsch am Bett tauschen. „Die Pause zwischen zwei Wehen muß dann eben reichen“, schmunzelt Ahnert. Ist mehr Zeit, kann die Zeremonie in einem anderen Zimmer mit allem Drum und Dran abgehalten werden. Aber auch tragische Ereignisse wie der bevorstehende Tod des Partners können Grund für die Heirat in einer Klinik sein. 30- bis 40mal pro Jahr wird in Mitte ein Standesbeamter ins Krankenhaus gerufen.
Dagegen sind die Brautleute bei ihrem Outfit eher konventionell. In rund 50 Prozent der Fälle bevorzugt sie das klassische lange, weiße Kleid mit Schleier, er den dunklen Anzug. Obwohl es keine Kleiderordnung gibt, sind Jeans, Rollkragenpullover und Turnschuhe eher selten, weiß Ahnert aus Erfahrung. Auch bei der Musik liegt Traditionelles wie der „Hochzeitsmarsch“ von Mendelssohn-Bartholdy und der „Bolero“ von Ravel in der Gunst noch immer vorn. Daneben gehören „Conquest of Paradise“ von Vangelis und „Time to say Goodbye“ von Andrea Bocelli und Sarah Brightman zu den Favoriten – dem Song, zu dem der Boxer Henry Maske gewöhnlich in den Ring stieg.
Vor allem die Ostdeutschen packt das Fernweh nach exotischen Gefilden, wenn sie ans Heiraten denken. Las Vegas, die Phillippinen, die Dominikanische Republik und Thailand sind begehrt. Doch der deutsche Standesbeamte mahnt zur Vorsicht: Wer im Ausland heiratet, sollte sich sein Dokument von der deutschen Botschaft legalisieren lassen. Die Mitarbeiter prüfen, ob die Ehe nach Recht und Gesetz des jeweiligen Landes geschlossen wurde. Christina Schultze/ADN
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