Der Text ist meine Party

■ Fanzines in Kleinstauflagen wollen mit Hochglanz und Massengeschmack nichts zu tun haben. Neben Musiktrends werden auch politische Messages abgedruckt

Sie zieren die Verkaufstresen kleiner Plattenläden, liegen versteckt unter den Zeitungsauslagen von Cafés oder werden nach Konzerten dem enthusiastischen Auditorium feilgeboten. Die Rede ist von liebevoll dilettantisch gestalteten Heftchen in Kleinstauflagen, auch Fanzines genannt (als Kontraktion aus Fan und dem englischen Magazine). Namen wie kassiba, 24 Stunden Tirana, fake oder Das Maul suggerieren eine Haltung, die mit peppigen Hochglanzmagazinen und Massengeschmack nichts zu tun haben will. Inhaltlich hat man sich die Berichterstattung seines eigenen Kulturkonsums auf die Fahnen geschrieben, und das aus der Maulwurfsperspektive des begeisterungsfähigen Verbrauchers. Die Fanzine-Landschaft blüht, obgleich diese Bezeichnung Unbehagen seitens der Macher verursacht.

„Ich will mich diesem Begriff nicht unterordnen, wo gar nicht genau klar ist, was das eigentlich bedeutet“, sagt Alexander Troll, Herausgeber und Verantwortlicher des Wahrschauer, und beschreibt damit die Unschärfe seiner Zunft. Mit über dreißig Ausgaben in acht Jahren ist der Wahrschauer der Kärrner unter den nichtkommerziellen Musikblättern. Und mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren nicht nur BerlinerInnen bekannt. Neben einem vielerseits anerkannten „prima Politikteil“, der Antifa-Gruppen genauso zu Wort kommen läßt wie Mumia Abu-Jamal, gibt es neuerdings eine beigelegte CD, auf der sich Bands ohne Plattenvertrag Gehör verschaffen.

Auch das Niagara kann sich schon eine Tapferkeitsmedaille ans Revers heften. Wie eigentlich bei allen Fanzines strahlen hier technische Mängel im Layout den Charme des Unvollendeten aus. Der Blick wird gelenkt auf die Bleiwüste, die sagen will: Der Text ist meine Party.

„Die Fanzines sind für die Musikindustrie irrelevant, weil sie inhaltlich unkritisch sind, die Wochenzeitschriften sind wichtiger gerade wegen der Möglichkeit des Verrisses“, schrieb der englische Musiksoziologe Simon Friss Anfang der 80er in seinem Buch „Sociology of Rock“. Er unterstrich damit den selbstreferentiellen Charakter von Zines, bei denen allein der persönliche Geschmack zählt. „Jeder Mitarbeiter ist sein eigener Redakteur“, bringt Alexander Troll diesen Umstand auf den Punkt. Dennoch schreibt er die Unabhängigkeit von der Plattenindustrie groß: „Die Promotoren müssen ihre Ware sowieso verkaufen. Insofern sind wir in der absolut stärkeren Position.“ Troll sieht sich weniger gegängelt vom Anzeigenaufkommen, das sich fast gänzlich über Plattenfirmen rekrutiert, als von seiner eigenen Szene beeinflußt, in der Kontakte entstünden, die über die Zeit auch Bestand hätten oder noch enger würden. „Wegen unserer geringen Auflage schreiben wir ja auch nur für eine kleine Schicht. Und durch den Besuch kleiner Konzerte können wir Trends viel schneller aufnehmen, weil wir an der Musik relativ beteiligt sind“, ist sich Troll sicher.

Bestes Beispiel für diese Machart ist das Ostberliner Fanzine Orange Agenten, das im untypischen A3-Format erscheint und aus der Hardcore- und Punkszene von Mitte hervorgegangen ist. Interviews werden hier nahezu 1:1 wiedergegeben, damit der Leser den tatsächlichen Gesprächsverlauf nachvollziehen kann. So erstreckt sich in der bislang vierten Ausgabe das Originalton-Interview mit der US-Hardcore Band Shellac über drei Seiten. Dazu Mitbegründer Matt: „Ein paar Leute riefen bei uns an und wollten sich das komplette und ungekürzte Interview zuschicken lassen, nicht ahnend, daß wir genau so mit der Band gesprochen haben, wie es im Heft steht.“

Beim kassiba, der in Cafés ausliegt, hat man sich das zum Programm gemacht. „Bei uns tauchen die Themen Film, Theater, Literatur und Musik alle gleichrangig nebeneinander auf. Allerdings ist jedes Thema an eine einzige Person gebunden“, erzählt Mitarbeiter Marco Frenzel, dessen Blatt sich deshalb kühn „Berliner Kulturzeitschrift“ untertitelt. Die Lust am Schreiben stehe hier im Vordergrund, und „Fanzine“ sei ihm zu sehr popmusikalisch fokussiert.

Diese klassische Formel, „von Fans für Fans“, erfüllt dagegen Das Maul, ein handgemachtes Schwarzweißblättchen aus der Berliner Hausbesetzerszene mit der klaren Zielsetzung, sich musikalisch und meinungsbildend ein Sprachrohr zu geben. Als Bonbon steckt in No.4 eine rosa Single, auf der eine Handvoll Punkbands den Ton angeben. „Wir wollen dem Kellerkinderimage, das Berlin von außen prägt, die Stirn bieten“, sagt Greta, Sängerin der „Untoten“ und Maul-Autorin, und begreift ihr Fanzine als „Spiegel der autonomen Szene“.

Ungeachtet der geteilten Meinungen über die Begriffszuordnung dieser Low-budget-Blätter bestimmen zumindest die Kriterien Selbstorganisation („Eine Hand weiß oft nicht, was die andere macht“), Nichtkommerzialität (das Prinzip „Selbstausbeutung“) und Szenevernetzung das gemeinsame Bild. Ihre Bedeutung liegt also eher im ideologischen Bereich. Tim Bartels