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Multis auf Draht in Südamerika

Europäische und US-amerikanische Telefongesellschaften erobern den Markt. AT&T und Telefónica sind besonders aktiv  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Wer in Argentinien vor der Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft einen Telefonanschluß bestellte, brauchte einen langen Atem und einen dicken Geldbeutel. Die Wartezeit für den Anschluß betrug zwischen fünf und zehn Jahren, seine Installierung kostete 1.500 Dollar.

Nach der Privatisierung im November 1990 hat sich das geändert. In bunten Anzeigen werben die Telefongesellschaften damit, daß ein Anschluß im Großraum Buenos Aires innerhalb 48 Stunden gelegt wird und für 300 Dollar zu haben ist. Das ist die Hälfte des monatlichen Durchschnittlohns eines Argentiniers. Dafür hat sich die Qualität der Leitungen verbessert. Die Käufer der staatlichen Telefongesellschaft Entel, die spanische Telefónica und France Telecom haben seit 1990 7,5 Milliarden Dollar investiert, um das Telefonnetz auf Vordermann zu bringen.

Dafür haben die beiden Firmen eine Monopolstellung in den Land. Telefónica und Telecom haben sich den Markt aufgeteilt. Eine Zusammenarbeit, die sich für beide lohnt. Argentinien gehört zu den Ländern mit den höchsten Telefongebühren der Welt. Eine Minute nach Deutschland kostet 5,30 Dollar. 1995 fuhren die beiden Monopolisten zusammen einen Gewinn von 750 Millionen Dollar ein – der Trend zeigt steil nach oben.

Weil die Telefongesellschaften starke Konkurrenz von den Call- Back-Firmen aus den USA bekommen, die ihre Kunden zurückrufen und dann über US-Leitungen den Gesprächsverkehr abwickeln, wollen Telefónica und Telecom jetzt die Preise für internationale Gespräche senken, das Geld aber dann bei den Ortsgesprächen wieder reinholen. Für Ana Maria Luro von der Verbraucherorganisation Abelco ein Ärgernis: „Ortsgespräche sind die Gespräche, die die große Mehrheit der Leute führt.“ Und außerdem „ist die Anzahl der Telefongespräche so sehr gestiegen, daß es für die Firmen nicht nötig wäre, die Preise zu erhöhen“.

Vor solchen Überraschungen hat sich das kleine Nachbarland Uruguay bewahrt. In einem Volksentscheid im Jahr 1992 stimmte eine große Mehrheit gegen die Privatisierung der Telefongesellschaft Antel. Eine Entscheidung, die sich für die BewohnerInnen rechnete. Das kleine Land hat heute eines der billigsten und modernsten Telefonnetze in Südamerika.

Als die brasilianische Regierung ankündigte, die staatlichen Telefongesellschaften privatisieren zu wollen, knallten die Sektkorken bei den Branchenriesen. „In einem emerging market (dt.: entstehenden Markt) wie Brasilien ist immer mehr Geld zu machen, weil es dort riesige Möglichkeiten für Wachstum gibt“, freut sich Stephen Rose von der Londoner Beratungsfirma Rose & Partners. Kaum jemand will sich den größten Markt Lateinamerikas durch die Lappen gehen lassen. AT & T, GTE, Telefónica und France Telecom stehen schon Schlange, um ein Stückchen von dem Kuchen abzubekommen. 17 regionale Telefongesellschaften, die derzeit 13 Millionen Kunden haben, gilt es an private Käufer zu verscherbeln. Das Ziel der brasilianischen Regierung ist es, 40 Millionen fest installierter Kabelleitungen zu haben, 17 Millionen Handy-Nutzer und 16 Millionen Datenübertragungsleitungen. Damit wäre Brasilien nach den USA der wichtigste Telekommunikationsmarkt des amerikanischen Kontinents.

Doch der Weg dorthin ist noch weit. In Brasilien hängen zehn Millionen Menschen in der Warteschleife für einen Telefonanschluß. Bis zum Jahr 2003 müssen etwa 75 Milliarden Dollar in das Telefonnetz gesteckt werden. Dafür werden Investoren gebraucht. Um die „nationalen Interessen dennoch zu schützen“, sieht der Plan zur Privatisierung vor, daß die Regierung für die nächsten drei Jahre ausländischen Investoren die Kontrolle der im Land arbeitenden Telefongesellschaften untersagen kann.

In Chile kennt man ganz andere Sitten. Auch was den Telekommunikationsmarkt betrifft, ist das Land der neoliberale Musterknabe Nummer eins. Chile hat den am weitesten liberalisierten Telekom- Markt der Welt. 1994 wurde der Markt für jeden geöffnet, der in der Lage ist, Ferngespräche anzubieten. Die ChilenInnen können nach jedem Telefonat die Ferngesprächsgesellschaft wechseln.

Zwei der stärksten Firmen auf dem Subkontinent sind der US- amerikanische Branchengigant AT & T und die spanische Telefónica. AT & T hat in allen lateinamerikanischen Ländern Filialen und ist mehrheitlich an den drei wichtigsten Fiberglaskabelstrecken beteiligt. Gemeinsam mit anderen Firmen installierte AT & T das erste Panamerikanische Fiberglaskabelnetz, das Nord- und Südamerika mit Europa verbindet.

Der Konzern ist weltweit die größte Telekom-Firma. Nur das Phoenix-Konsortium, eine Allianz aus Sprint, France Telecom und Deutsche Telekom, wickelt weltweit mehr Ferngespräche ab. Auch die spanische Telefónica versucht, sich ein Imperium in Südamerika aufzubauen. Ihre wichtigsten Stützpunkte sind dabei Argentinien, Chile, Peru und Venezuela. Dort hat sich auch das Konsortium Ven World breitgemacht, das zu 51 Prozent dem US-Konzern GTE gehört. Die italienische Stet ist in Argentinien an Telecom beteiligt. Stet kaufte zudem 50 Prozent der Anteile der bolivianischen Telefongesellschaft Entel.

Die Privatisierung der argentinischen Telefongesellschaft war der Auftakt für die anderen Länder, ihr Telefonsystem ebenfalls mit ausländischem Kapital aufzupolieren. Ein Ergebnis der Modernisierung: Daß das Telefon funktioniert, ist heute in den meisten Ländern die Regel und nicht die Ausnahme. Und dennoch bleibt ein Telefonanschluß in Lateinamerika ein Luxus. Neun von zehn Menschen leben in der Region ohne Telefon, weil sie kein Geld haben, den Anschluß zu bezahlen.

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