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Das Wirtshaus zur Hölle Von Ralf Sotscheck

Der Pub gilt in Irland als sozialer Knotenpunkt. Manchmal kommt es jedoch ganz anders. Wer Cumiskey's am Dubliner Broadstone betritt, sollte zuvor seine romantischen Vorstellungen von irischen Kneipen über Bord werfen. Vater und Sohn Cumiskey, denen der Laden gehört, haben den festen Vorsatz, sich nicht nur gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen, sondern auch ihren Gästen. Der alte Aidan geht dabei allerdings gewitzter vor als sein einfältiger Sohn Stephen.

Der erste Eindruck ist bereits prägend: Die Kneipe ist vom Fußboden bis zur Decke in Altrosa gehalten, was auch ohne Alkohol desorientierend wirkt. Das ist Absicht. Der kleine, drahtige Aidan, mit schlohweißen Haaren und knielanger grauer Strickjacke, schleicht unauffällig zwischen den Tischen herum und tut so, als ob er leere Gläser abräumt. Wer sich davon einlullen läßt, hat schon verloren: Im Handumdrehen ist das halbvolle Guinness futsch. Spätere Proteste sind zwecklos.

Ich versuche gar nicht erst, mein fast neues Guinness zurückzuerbeuten, sondern begebe mich an die Theke, um ein anderes zu bestellen. Stephen, groß und dunkelhaarig, mit weißem Hemd und Krawatte, hat jedoch keineswegs die Absicht, ein Getränk herauszurücken. Er ignoriert mich. Nach einer Weile verliere ich die Geduld und beschwere mich lauthals, was Stephen die Laune verdirbt. Das allerdings löst beim Vater verblüffende Fröhlichkeit aus, was Stephen noch mehr auf die Palme bringt. „Was grinst du so blöd, du alter Zausel“, schreit er seinen Vater an, der inzwischen schallend, aber gehässig lacht. An mein Guinness ist jetzt natürlich nicht mehr zu denken.

Nun greift mein Freund Phil ein, der in einem masochistischen Anfall ausgerechnet Cumiskey's als Stammkneipe auserkoren hat. Er brüllt Aidan an, er solle gefälligst seinen Arsch in Richtung Zapfhahn bewegen – schließlich hebe er es mit Stammgästen zu tun. „Stammgäste werden bei uns nicht bedient“, meint Aidan voller Häme und fügt hinzu: „Und jetzt verpiß dich.“

Phil geht schnurstracks zur Sitzbank in der Ecke und zieht unter dem Polster das „Buch der Aidanismen“ hervor – ein Oktavheft, in dem die Stammgäste sämtliche Gemeinheiten notieren, die Aidan ihnen angetan hat. Der Schrecken der Gäste ahnt nichts von der Existenz des Heftes, in das Phil jetzt ein neues Kapitel einträgt.

Stephen schmeißt inzwischen ein Pärchen hinaus, das sich zu innig geküßt hat. „Ihr verderbt die Kinder“, schnaubt er, während die Frau völlig vergeblich einwendet, daß Kinder bei Cumiskey's schon seit 15 Jahren Hausverbot haben. Als alles auf die jugendgefährdenden Küsser achtet, schaltet Aidan kurzerhand den Ventilator aus. Innerhalb einer Viertelstunde ist die Kneipe so verqualmt, daß man die beiden Wirte nur noch schemenhaft erkennt. Die Stammgäste greifen instinktiv nach ihren Gläsern und halten sie fest.

Die drei Guppys im Aquarium in der Ecke sind längst Räucherfische. Der einzige Ort, wo man es aushalten kann, ist das Klo. Dort herrschen allerdings null Grad, weil das Fenster undicht ist. Nur das Barometer an der eingenebelten Theke läßt sich weder durch das Wetter noch durch die Höllenwirte beirren: Es steht seit acht Jahren auf „freundlich“.

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