: Rauchen fürs soziale Netz Von Mathias Bröckers
Vor dem kanadischen Parlament wurde unlängst ein „Denkmal des unbekannten Rauchers“ aufgestellt, als Mahnung an die Abgeordneten, die über ein neues Antitabakgesetz debattierten. Wenn es demnächst in Kraft tritt, wird Kanada zu den Ländern mit den schärfsten Tabakrestriktionen weltweit gehören: Zigarettenautomaten werden verboten, die Werbung stark eingeschränkt und die Hersteller müssen neben den Teer- und Nikotinwerten auch den Gehalt anderer Schadstoffe angeben. Da es davon über 4.000 gibt und die Liste schwerlich auf eine Zigarettenschachtel passen würde, beschränkt sich die Verordnung auf eine Handvoll besonders gefährlicher Gifte wie Cyanid, Arsen, Formaldehyd und Blei.
Der kanadischen Nichtraucherlobby geht die Verordnung nicht weit genug, sie beklagt, daß das ursprüngliche Gesetzesvorhaben, Zigaretten nur noch in einheitlicher Verpackung abzugeben, fallengelassen wurde. Eine große Studie des Gesundheitsministeriums hatte erbracht, daß ein solches Einheitsdesign mit einfachem Schwarzweiß-Aufdruck des Markennamens die Attraktivität der Glimmstengel vor allem bei jugendlichen Einsteigern deutlich herabsetzt. Doch die Tabakindustrie hatte sich gegen diese Einschränkung der „Freiheit des Ausdrucks“ vor dem Verfassungsgericht erfolgreich gewehrt – 90 Prozent ihrer Neukunden sind unter 18 Jahre alt und dürfen auch in Kanada weiterhin mit neckischen Plakaten und cooler Kinowerbung geködert werden. Nur in Jugendzeitschriften und auf jugendorientierten Produkten wie Baseball-Caps sind die Markennamen der Giftstengel künftig Tabu. An der Fortsetzung der Lifestyle-Werbung für Tabak wird diese Einschränkung wenig ändern, und so droht in Kanada nun eine Entwicklung wie in den USA. Dort wird zwar seit langem eine strengere Antitabakpolitik als in Europa gefahren, doch die Zahl der jugendlichen Raucher hat drastisch zugenommen: 42 Prozent der weißen Teenager qualmen, vor fünf Jahren waren es nur 25 Prozent. Und dies öffentlichen Rauchverboten, diskriminierenden Raucherplätzen an den Klotüren der Restaurants und anderen Schikanen zum Trotz. Oder gerade deswegen? Im toleranteren Europa steigt die Zahl der Neueinsteiger zwar auch, aber hier rauchen zur Zeit nur etwa 30 Prozent der Teenies.
Mit Repression und Verboten ist der Krieg gegen den Tabak nicht zu gewinnen, selbst nicht mit radikalen Maßnahmen wie in Norwegen: Als dort vor 20 Jahren jede Art von Werbung und Sponsoring für Tabak verboten wurde, fiel der Zigarettenabsatz anfangs zwar in den Keller, steigt seitdem aber wieder kontinuierlich. Auch ohne die Verführungen durch Werbung scheint ein unausrottbarer Hang zum tödlichen blauen Dunst zu existieren. So traurig diese Nachricht Gesundheitspolitiker stimmen mag, für ihre Kollegen in der Rentenabteilung ist sie ein Segen: Zum Jahresende haben Wirtschaftsforscher wieder einmal vorgerechnet, daß ohne die Millionen Nikotinsklaven, die ihr Leben im Schnitt um fünf Jahre verkürzen, die deutsche Rentenkasse schon lange bankrott wäre. Insofern sind all die guten Rauchervorsätze zum neuen Jahr ein egoistischer Schuß in den Ofen. Wer ein Gewissen hat, raucht weiter: fürs soziale Netz.
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