: Libyens Umwege aus dem Embargo
■ Arabische Nachbarländer bauen Wirtschaftskontakte zu Libyen auf
Madrid (taz) – Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi macht die Not des Luftverkehrsembargos zur Tugend und läßt eine Eisenbahnlinie, die erste seines Landes, bauen. Die 2.000 Kilometer Strecke von Solloum an der ägyptischen Grenze über Benghazi in die Hauptstadt Tripolis soll das Land wieder an die Außenwelt anschließen, das seit dem Anschlag auf eine PanAm-Maschine 1988 in der Nähe des schottischen Ortes Lockerbie per UNO-Beschluß isoliert worden war. Ägypten erhielt den Zuschlag für das über 20 Milliarden Mark teure Projekt, nachdem Präsident Husni Mubarak Dezember letzten Jahres Tripolis besucht hatte.
Der Vertrag mit Kairo ist nicht der einzige internationale Erfolg Gaddafis, der sich im letzten Jahr trotz UN-Embargo mit weiteren bedeutenden Staatsmännern der Region traf. Vor Mubarak war der türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan in die arabische Volksrepublik gereist. Tunesiens Präsident Ben Ali lud Gaddafi nach Tunis. Ein Treffen mit Algeriens Staatschef General Liamine Zeroual könnte schon dieses Jahr folgen.
Und alle hatten dem international geächteten Enfant terrible etwas mitgebracht. Erbakan, der durch seine Verurteilung „des ungerechten Embargos“ für einen internationalen diplomatischen Skandal sorgte, sicherte verstärkte Handelsbeziehungen sowie Zusammenarbeit im Tourismusbereich und bei der Modernisierung libyscher Fabriken zu. Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten soll von derzeit 700 Millionen US-Dollar auf fast zwei Milliarden Dollar gesteigert werden. Der Löwenanteil der libyschen Exporte in die Türkei besteht aus Erdölprodukten. Erdgasimporte stehen zudem noch zur Verhandlung.
Die Beziehungen mit dem Nachbarn Tunesien sind nach Ben Alis Besuch erstmals seit der libyschen Revolution vor 27 Jahren in günstigere Bahnen gelenkt worden. So wurde der Bau einer Gaspipeline für zwei bis drei Milliarden Kubikmeter im Jahr beschlossen. Neuentdeckte libysche Erdölfelder sollen mit Hilfe tunesischer Konzerne ausgebeutet werden. Die Industrieministerien beider Länder beraten außerdem über die Gründung einer Reihe von Joint- ventures auch in anderen Bereichen. Dies stellt für die Regierung in Tripolis einen wichtigen Schritt zurück in die internationale Wirtschaft dar.
Nachdem die Arabische Maghreb Union (UMA) auch nach acht Jahren weit davon entfernt ist, als gemeinsamer Markt zu funktionieren – von einer gemeinsamen Außenhandelspolitik ganz zu schweigen –, sind gemischte Unternehmen mit Ländern wie Tunesien für die Libyer eine mögliche Hintertür zur EU. Denn das kleine Nachbarland verfügt über ein Kooperationsabkommen mit Brüssel, in dem die freie Ausfuhr von Industriegütern in die Gemeinschaft festgeschrieben steht.
Auch in Europa selbst weicht die Embargofront auf. So berichtet die Zeitschrift Jeune Afrique von einer Veranstaltung der französisch-arabischen Handelskammer Mitte Dezember in Paris. 50 namhafte Unternehmen informierten sich über die Möglichkeit im Lande Gaddafis zu investieren. Eine erste Delegation soll noch diesen Monat vor Ort reisen. Reiner Wandler
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