: Spitzenmarke bei Arbeitslosigkeit erreicht
■ Noch nie waren in einem Dezember so viele Menschen ohne Beschäftigung. Weiterer Anstieg prognostiziert. Helmut Kohl frustriert über Überstunden
Nürnberg (taz/dpa) – Die lange erwartete Rekordmarke ist erreicht: Erstmals ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland in einem Dezember über die Vier-Millionen-Marke gestiegen. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BfA), Bernhard Jagoda, schloß gestern nicht aus, daß in den nächsten Wintermonaten ein historischer Höchststand von 4,5 Millionen Erwerbslosen erreicht werde. Deutschland stehe arbeitsmarktpolitisch vor dem schwierigsten Jahr seiner Geschichte, sagte Bernhard Jagoda bei der Vorlage der Dezember-Zahlen.
Er forderte Politik und Wirtschaft eindringlich auf, den Kampf um mehr Arbeitsplätze zu verstärken. „Es ist höchste Zeit, sich wieder an einen Tisch zu setzen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen.“
Im Dezember war die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vormonat um 205.900 auf 4,148 Millionen gestiegen. Gegenüber dem Vorjahresmonat bedeutete dies einen Zuwachs von 357.500. Die Arbeitslosenquote kletterte binnen Monatsfrist von 10,3 auf 10,8 Prozent (Dezember 1995: 9,9 Prozent). In den alten Ländern zählten die Arbeitsämter 136.200 Erwerbslose mehr als noch im November (Quote: 9,6 Prozent). Damit waren im Westen 2,961 Millionen Menschen ohne Arbeit. In den neuen Ländern hatten 1,187 Millionen Menschen keinen Job – ein Zuwachs gegenüber November von 69.700 (Quote: 15,9 Prozent). Die neuen Arbeitsmarktzahlen haben der Diskussion um Überstunden neuen Auftrieb gegeben. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sagte gestern in Bonn, es sei für ihn nicht nachvollziehbar, daß angesichts von mehr als vier Millionen Arbeitslosen Milliarden Überstunden in den Betrieben geleistet würden. In vielen Unternehmen müsse es möglich sein, mit einer normalen Arbeitszeit auszukommen und so den Weg für Neueinstellungen freizumachen. Nach den Worten Kohls sollen noch in diesem Jahr neue Regelungen für die Überstunden vereinbart werden.
Auch Jagoda erklärte mit Blick auf die rund 1,8 Milliarden Überstunden, die 1996 bundesweit geleistet wurden: „Es kann nicht sinnvoll sein, eine 37,5-Stunden- Woche zu vereinbaren und dann dauerhaft 40 Stunden zu arbeiten.“ Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) könnten etwa 40 Prozent der Überstunden ohne große wirtschaftliche Nachteile für die Unternehmen abgebaut und in Vollzeitarbeitsplätze umgewandelt werden. Dadurch könnten rund 300.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit im Dezember ist offenbar nicht allein auf das strenge Winterwetter zurückzuführen. So stieg auch die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen um 48.000 auf 4,156 Millionen.
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