■ Nachschlag: Ratten 07 spielen Nestroys „Lumpazi Vagabundus“ im 3. Stock
Schon der knappe rote Vorhang, der zwischen die nackten Wände im 3. Stock der Volksbühne gespannt ist, signalisiert: Hier wird nichts verschwendet. Unterhalb des Theatersamtes drängeln die schweren Schuhe der Ratten 07 zum Prolog: „Obdachlosenlandverschickung!“ – „Ab nach Lappland!“ Was erst absurd anmutet, entpuppt sich bald als Satire auf die Schlacht mit politischen Schlagwörtern. Die Kabarettnummer am Anfang baut einen neuen Rahmen für Nestroys „Lumpazi Vagabundus“. Die Ratten haben der eh vorworrenen Götterintrige eine politische vorangestellt. Drei glückliche Handwerker müssen her, sonst klappt das nicht mit Deutschlands EU-Beitritt. Der Agent, der losgeschickt wird, muß dem Glück mit Lotteriegewinnen nachhelfen, um aus den zum Vagabundieren verführten Gesellen glückliche Handwerker zu machen. Erfolg hat er nur, wo neben den Göttern auch die Liebe hilft.
Die Story rattert, doch das kommt den Amateuren der Ratten gerade recht. Leim (Charly), der verliebte Tischler, darf völlig blödsinnig durchs Leben stolpern. Zwirn (Abel) will seinen Untergang mit Eleganz zelebrieren und rührt in seiner naiven Gutmütigkeit. Geradezu furchterregend authentisch spielt Hunni den Schuster Knieriem, der seinen alkoholverschleierten Blick nicht mehr geradeaus zwingt. Er wartet auf den Weltuntergang, denn etwas anderes kann ihn nicht aus der Kette „unverschuldeter Unglücksfälle“ reißen. Wenn er sich von Wort zu Wort schleppt, glaubt man kaum, daß die Rolle eine Erfindung Nestroys ist. Nestroy, der in seinem Namen (Spottname für „faule Nichtstuer“) eine gewisse Verpflichtung entdeckte, verlangte von seinen Charakteren weder Moral noch Verantwortung. Diese Instanzen ersetzten die Götter. Mit ihnen verkehrte sich das Leiden der Lumpen an der Unfähigkeit zur Entwicklung in Komik. Doch da sie selten außerhalb der Theaterbühne anzutreffen sind, war die Botschaft der „Zauberposse“ trotzdem klar.
Wer lacht, der zahlt, hieß Nestroys Erfolgsregel, und bei den Ratten freut sich das Publikum. Freut sich über Erkenntnisse wie „Rumhängen ist ABM für BSR“. Freut sich über die freundlich mitspielenden Hunde. Und freut sich über die eigene gute Laune: Wann kann man sonst schon das Gefühl genießen, sich mit Menschen von der Straße einen netten Abend zu teilen? Es ist manchmal eine Erleichterung, in die Welt des Scheins einzutauchen. Katrin Bettina Müller
Wieder am 16./17.1., 20 Uhr, 3.Stock der Volksbühne
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