: Behördenschelte für Bausenator
■ Wg. Ausgrenzung von Obdachlosen: Sozialbehörde zerreißt Eugen Wagners Weisung zur Vergabe von Dringlichkeitsscheinen Von Marco Carini
Gesamtnote mangelhaft. Aus Sicht der Sozialbehörde hat Bausenator Eugen Wagner bei seiner neuen „fachlichen Weisung über die Versorgung von vordringlich Wohnungssuchenden mit Wohnraum“ so ziemlich alles falsch gemacht, was er nur falsch machen konnte. Tendenz der Behördenschelte: Am besten ab in den Papierkorb mit Wagners Weisung. Und noch mal ganz von vorn anfangen.
Als Hamburgs dienstältester Senator seinen nigelnagelneuen Weisungs-Entwurf Anfang des Jahres in die Umlaufbahn der „behördlichen Abstimmung“ schickte, rechnete er allenfalls mit den üblichen kleineren Korrekturwünschen. Doch das Urteil der Sozialbehörde war vernichtend. „Grundlegend zu überarbeiten“, so befand sie, sei der Entwurf, der seinen „Zielsetzungen“ in „keiner Weise gerecht“ werde.
Sollte Wagner sich mit seinem Papier durchsetzen, so warnt das Amt, würde es zu einer „dauerhaften Ausgrenzung“ von Obdachlosen „mit den bekannten eskalierenden sozialen Abstiegsprozessen“ kommen. Folge: Die Sozialbehörde „wird genötigt sein, die Kapazitäten zur Unterbringung obdachloser Haushalte auszuweiten“ und dafür – zu Lasten des Hamburger Haushaltes – jährlich erhebliche zusätzliche Mittel aufzubringen.
Doch nicht nur deshalb erheben die MitarbeiterInnen von Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel „starke Bedenken gegen den von der Baubehörde vorgelegten Entwurf“. Kritisiert wird vor allem der „Hamburg-Bonus“, nachdem nur Wohnungssuchende einen Dringlichkeitsschein beantragen können, die „seit mehr als drei Jahren ununterbrochen in Hamburg gemeldet“ sind. Konsequenz: Alle Wohnungslosen ohne Meldebestätigung wären im Sozialwohnungs-Monopoly schon mal ausgeschieden.
Nach Auffassung der Sozialbehörde müssen auch die meisten „ausländischen Zuwanderer“ aus „rechtlichen Gründen“ von der Drei-Jahres-Frist befreit werden. Da ihre Freizügigkeit beschränkt sei, könnten sie nicht wie andere wählen, ob sie in Hamburg leben und die Sperrklausel inkauf nehmen wollten. Ein eklatanter Verstoß gegen die gesetzlich verbriefte „Gleichbehandlungs“-Gebot, befindet die Sozial behörde.
„Ersatzlos zu streichen“ ist nach Auffassung der Sozialbehörde das „Selbstverschuldungsprinzip“, nachdem die Wohnungssuchenden „ihre Notlage nicht aufgrund persönlichen Verhaltens selbst herbeigeführt haben“ dürfen, wenn sie den begehrten Dringlichkeitsschein erhalten wollen. Der Gummi-Paragraph führte in der Vergangenheit auch schon mal dazu, daß eine Scheidung als selbstherbeigeführte Notlage bewertet und der Dringlichkeitsschein deshalb versagt wurde. Das „völlig untaugliche Instrument zum Ausschluß der Anerkennnung“, rügt die Sozialbehörde die Wagner-Weisung, könne „zu einem lebenslangen Verbleiben in der Obdachlosigkeit führen“.
Das gleiche gilt für zwei andere Passagen der fachlichen Weisung, nach denen die Wohnungsvergabe nicht nach Wartezeit erfolgen soll, wenn dies „für die Erhaltung ... einer sozial ausgewogenen Mieterstruktur geboten“ sei. Für die Sozialbehörde ein Freifahrtsschein zur Ausgrenzung von Obdachlosen, weil diesen nicht selten „zu Unrecht ein ausreichendes Maß an Integrationsfähigkeit abgesprochen“ werde.
Für Eugen Wagner gibt es nach diesem Frontalangriff von Kollegin Fischer-Menzel nur zwei Varianten: Nachsitzen oder Machtprobe im Senat. Die aber könnte für ihn mit einer Blamage enden.
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