piwik no script img

Vier Tage gegen „die Reaktion“

■ Vor 75 Jahren: Generalstreik in Hamburg / Bonbonarbeiter, Schornsteinfeger, Senatoren und Kriegsbeschädigte vereint gegen die „Militärkamarilla“ um Wolfgang Kapp Von Kay Dohnke

„Die Errungenschaften der Revolution sind bedroht! Der Bürgerkrieg steht vor der Tür! Auf die Bajonette gestützt, versuchen die Kreise, denen Deutschland das Elend und den Verlust des Krieges verdankt, die Herrschaft einer Militärkamarilla aufzurichten.“ Mit erstaunlich markigen Worten wandte sich Senatssprecher Berthold Grosse (SPD) am Abend des 13. März 1920 an die Hamburger Bevölkerung. An diesem Samstag, gegen 19 Uhr, war der Hamburger Senat zu einer Sondersitzung zusammengetreten: In der Nacht zuvor hatte die rechtsradikale Brigade Ehr-hardt die Berliner Innenstadt besetzt, ihr Befehlshaber General von Lüttwitz erklärte die Regierung Ebert für abgesetzt. Und ein neuer Kanzler stand auch schon bereit: Der ostpreußische Rittergutsbesitzer Wolfgang Kapp stellte sich an die Spitze der künftigen „Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat“.

Die HamburgerInnen, die bereits am Vormittag des 13. März vom sogenannten „Kapp-Putsch“ erfahren hatten, reagierten prompt. Zwar lief bei Blohm + Voß noch wie geplant der „Große Kreuzer“ vom Stapel, doch schon gegen Mittag kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen. Die Straßenbahnen stellten den Betrieb ein, spontan traten Abordnungen von Gewerkschaften, Parteien und Berufsverbänden zusammen. Binnen weniger Stunden kam das Arbeitsleben der Stadt zum Stillstand. Die sozialdemokratischen Parteivorstände brachten in einer Proklamation die Stimmung auf den Punkt: „Eine wahnwitzige reaktionäre Clique hat sich in Berlin der Regierung bemächtigt. Unsere felsenfeste Überzeugung ist, daß eine Regierung von Militaristen und Reaktionären für uns unerträglich und für das ganze Volk der völlige Zusammenbruch ist.“ Und daher könne es nur eine Antwort geben: Generalstreik!

Inzwischen hatten die Berliner Putschisten den Hamburger Statthalter ihrer neuerrungenen Macht bestimmt: Der Garnisonsälteste, Oberst Adolf von Wangenheim, schien ihnen als Vertreter des Militärs der richtige Bündnisgenosse zur Stabilisierung ihrer gegenrevolutionären Regierung zu sein. Wangenheim übernahm auch sofort die ihm zugedachte Rolle und erließ weitreichende Verordnungen: „Um Aufpeitschung der politischen Gegensätze und Bürgerkrieg zu vermeiden“ sprach er ein umfassendes Presse- und Versammlungsverbot aus.

Rund ums Rathaus zogen Truppen auf, Wangenheim bot an, mit dem Hamburger Senat zusammenzuarbeiten, und kurze Zeit schien es, als wollte der Senat den Kapp-Vertreter akzeptieren. Nach einigem Hin und Her, nach Taktieren und Verwirrung über die Rechtslage, besann man sich schließlich auf die Verfassung und erteilte Wangenheim eine klare Absage – ungeachtet der Tatsache, daß er Hamburgs Regierung für abgesetzt erklärt hatte. Wangenheim verzog sich nach Altona und igelte sich dort im Rathaus ein, beschützt von einer kleinen Gruppe Soldaten.

Hamburgs Bevölkerung blieb von Wangenheims Machtgebaren von vornherein unbeeindruckt; auch die Meldung von der Flucht der entmachteten Reichsregierung nach Dresden beeindruckte die HamburgerInnen wenig. In seltener Einmütigkeit bekräftigten Betriebsräte, der Verband der Gewerbevereine, der Deutsche Beamtenbund und das Gewerkschaftskartell am Sonntagvormittag ihren Appell zum Generalstreik. Zur Verstärkung der Sicherheitspolizei ließ der Senat in der Kaserne Bundesstraße eine Reserveabteilung aufstellen, zu der sich vornehmlich Mitglieder der Deutsch-Demokratischen, der Sozialdemokratischen und Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei melden sollten.

Am frühen Abend – Wangenheim war inzwischen von der abgetauchten Regierung Ebert telegrafisch seines Amtes enthoben worden – legte das Gewerkschaftskartell in Sachen Arbeitsausstand nach: Neu zum Streik aufgerufen wurden die Arbeiter und Angestellten der Schokoladen- und Bonbonfabriken sowie die Schornsteinfeger; Banken wären einstweilen geschlossen zu halten. Die kampfbereiten Eisenbahner ließen einzig noch Milchzüge und Lebensmitteltransporte für die Zivilbevölkerung durch. Ihre Vertrauensleute bezogen an allen wichtigen Knotenpunkten Stellung, um auf verkappte Truppenverschiebungen zu achten.

Hamburg bot ein beeindruckendes Bild: Tausende friedlicher Passanten bewegten sich zwischen Lkws mit aufmontierten Maschinengewehren durch die Straßen, überall sah man provisorisch gespannte Telefonleitungen, Wachtposten an Brücken und Kreuzungen. Arbeiter-Samariter hatten in allen Stadtteilen vorbeugend Verbandsplätze eingerichtet; auf dem Rathausmarkt und dem Heiligengeistfeld diskutierten – ungeachtet des Wangenheimschen Versammlungsverbots – Hunderte von HamburgerInnen. Der Zentralverband der Vorbestraften erließ im Namen seiner 60.000 Mitglieder eine Proklamation, und selbst der Reichsbund der Kriegsbeschädigten stellte sich gegen die Berliner Militärs: „Es ist Ehrenpflicht eines jeden Kriegsbeschädigten, soweit er mit der ihm verbliebenen Kraft noch in der Lage ist, mit der Waffe in der Hand die Grundrechte der Freiheit gegen den Ansturm der Reaktion zu schützen.“

Die Nacht blieb in den meisten Teilen Hamburgs ruhig, aber kurz vor Mitternacht rückten mehrere tausend Soldaten des reaktionären Bahrenfelder Zeitfreiwilligenbataillons und der Reichswehr ins Stadtzentrum vor. In Heimfeld tauchte eine Freikorpseinheit auf, die „Eiserne Schar“ des Hauptmanns Berthold, und forderte freien Durchmarsch, was die Harburger Einwohnerwehr jedoch verhinderte. Nach schweren Kämpfen verschanzten sich die 700 Freikorpssoldaten in der Mittelschule an der Woelmerstraße.

Am Montagmorgen erschien der Putschversuch bereits in einem anderen Licht: In Rostock, Wismar und Schwerin zeigte der Widerstand breiter Bevölkerungskreise Erfolg, in Hamburg hatten ganze Einheiten der Sicherheitspolizei Wangenheim die Gefolgschaft verweigert und ihre Offiziere verhaftet, ja selbst das angeforderte Militärkontingent aus Eutin erwies sich als verfassungstreu. Immer zahlreicher fanden sich Arbeiter, Angestellte und Bürger an den Sammelplätzen ein, nahmen Waffen in Empfang und ließen sich – zu Bataillonen geordnet – in die verschiedenen Stadtteile abkommandieren.

In Harburg gab es erneut längere Gefechte um die belagerte Schule. Als Unterhändler freien Abzug für die „Eiserne Schar“ vereinbart hatten und die Konterrevolutionäre das Gebäude zu verlassen begannen, griffen laut Hamburger Echo „einzelne zügellose Menschen“ die unbewaffneten Soldaten an. Hauptmann Berthold und drei Offiziere wurden im Handgemenge erschlagen. Insgesamt kosteten die Unruhen in Harburg 30 Menschen das Leben, darunter auch Frauen und Kinder.

Als Wangenheim und seinem Stab in Altona die Aussichtslosigkeit ihrer Lage klar wurde, zogen sie die Uniformen aus und machten sich in den frühen Morgenstunden des Dienstag klammheimlich aus dem Staub. Im Verlauf des Tages schien der Aufstandsversuch zumindest in Hamburg endgültig niedergeschlagen. Der Generalstreik flaute ab, die Arbeiterschaft blieb jedoch in Alarmbereitschaft. Nachmittags versammelten sich in Barmbek mehrere hundert „Halbstarke mit Frauen und Kindern“ (Hamburger Echo), blockierten die Straßenbahn in der Marschnerstraße und versuchten, die Sicherheitswehr zu entwaffnen. Die Streife schoß und warf Handgranaten – bei widersprüchlichen Pressemeldungen blieb die Zahl der Verwundeten unklar. Die Presse witterte hier einen kommunistischen Umsturzversuch.

Bereits am Mittwoch – keine Woche nach der illegalen Regierungsübernahme – kapitulierten in Berlin die Putschisten. Der Fünf-Tage-Kanzler Kapp setzte sich per Flugzeug nach Schweden ab, Lüttwitz tauchte unter und wurde dabei von den Behörden gedeckt. Von Wangenheim fand sich ebenfalls keine Spur.

Während Schießereien in Kiel noch weitere 80 Leben kosten sollten, kehrte an der Elbe der Alltag ein. Das Hamburger Echo – stolz auf die gezeigte Zivilcourage – nutzte die Gelegenheit für eine ungewöhnliche Eigenwerbung: „Die letzten stürmischen Tage in Hamburg haben es bewiesen, welches Blatt es ist, das, unbekümmert um die von den Feinden der Republik ausgestreuten Nachrichten, ungehindert durch alle Schwierigkeiten der Absperrung, diesen Anforderungen genügt hat: Abonniert das Hamburger Echo.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen