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Vernichtungskrieg unverblümt erklärt

■ Dokumentation der Rede von Jutta Limbach, Präsidentin des Bundes-Verfassungsgerichtes, zur Eröffnung der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ am 10. Januar in Karlsruhe

Hitler hatte seine Absicht, den Rußlandfeldzug als Vernichtungskrieg zu führen, der deutschen Generalität unverblümt erklärt: Im März 1941 erläuterte er rund 250 in der Reichskanzlei versammelten hohen Offizieren den neuartigen Charakter dieses Krieges. Joachim Fest zitiert in seinem Buch „Staatsstreich“ aus den stichwortartigen Notizen eines der Teilnehmer einige der Führer-Worte. „Wir müssen von dem Standpunkt des Kameradentums abrücken... es handelt sich um einen Vernichtungskampf... Kommissare und GPU-Leute sind Verbrecher und müssen als solche behandelt werden. ... die Führer müssen von sich aus das Opfer verlangen, ihre Bedenken zu überwinden.“ Die jenen Worten Hitlers entsprechenden Befehle lösten zwar Empörung aus, doch konnten sich die Oberbefehlshaber des Heeres nicht dazu durchringen, Hitler den Gehorsam aufzukündigen. Zumindest die höheren Truppenführer der Heeresgruppe Mitte hatten sich gegen jene Befehle gewandt und versucht, sie zu negieren. (...)

Die Ergebnisse dieser sich von allen Regeln des Kriegshandwerks verabschiedenden Befehle sind bekannt. Die Bilanz des 2. Weltkriegs allein für den Ostfeldzug besagt, daß dieser insgesamt rund 29 Millionen Menschen, davon fast 15 Millionen Zivilpersonen, das Leben gekostet hat. (...)

Wer sich heute – ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende! – anschickt, darüber zu informieren, wie es zu den Massenmorden während des zweiten Weltkriegs gekommen ist und welche Rolle die deutsche Wehrmacht dabei gespielt hat, stößt noch immer auf eine empfindsame Stelle im Gemüt einiger Deutscher. Wer sich dieses dunklen Kapitels aufklärend annimmt, sieht sich unversehens in die Rolle eines Tabuverletzers versetzt. (...)

Ich hatte mit Reaktionen auf meine Eröffnungsrede gerechnet. Weiß doch jede Zeitungsleserin, daß bisher jede dieser Ausstellungen von Protesten und Versuchen der Einschüchterung begleitet worden ist. Eine unserer Richterinnen hatte bei der Ausstellung 1995 in Stuttgart Begleitschutz erhalten, weil ihr gedroht worden war, man werde ihren dort zu haltenden Vortrag verhindern. Ich bin bereits in den Vortagen in mehreren Briefen äußerst empört und sehr nachdrücklich gebeten worden, der Veranstaltung fernzubleiben. Denn dort würden Lügen oder Pauschalurteile über die deutsche Wehrmacht verbreitet und das Andenken deutscher Soldaten verunglimpft.

Wer Zeugnis ablegt, ob und wie auch Angehörige der Wehrmacht dabei mitgewirkt haben, Soldaten, Zivilisten, darunter vor allem Juden in den besetzten Gebieten zu vernichten, verunglimpft weder pauschal die Soldaten des zweiten Weltkriegs noch begründet er eine Kollektivschuld der Militärs. Das Nicht-Wissen-Wollen, ob und in welchem Ausmaß sich die deutsche Wehrmacht am Vernichtungskrieg beteiligt hat, dient weder dem Andenken der Soldaten noch dem Ansehen ihres Berufsstandes. Im Gegenteil: Frage- und Kritikverbote nähren nur den Zweifel. (...)

Ich selbst gehöre einer Berufsgruppe an, die sich in der Vergangenheit ähnlich schwer getan hat mit der dunkelsten Phase ihrer Rechtsgeschichte. Das weitgehende Scheitern der Versuche, das Justizunrecht zu ahnden, stellt eines der beschämendsten Kapitel der deutschen Nachkriegs- und Justizgeschichte dar. (...)

Unsere Berufsstände teilen nicht nur die Erfahrung des jahrzehntelangen Verdrängens, sondern auch alte obrigkeitsstaatliche Traditionen, die gewiß eine der Ursachen des Versagens in den Jahren 1933 bis 1945 waren. (...) Auch das ihnen gemeinsame Ideal eines unpolitischen Expertentums hat viele Juristen und Soldaten anfällig für den staatlich verordneten Gewaltmißbrauch gemacht. An vorderster Stelle der Rechtfertigungsversuche der Militärs stand denn auch die Legende vom unpolitischen Soldaten. (...)

Das heute geltende Soldatengesetz gestattet dem Soldaten nicht, sein moralisches Unterscheidungsvermögen auszuschalten. Es verlangt von ihm Gehorsam gegenüber den Befehlen des Vorgesetzten, doch ausdrücklich setzt es hinzu, daß Ungehorsam nicht vorliege, wenn ein Befehl nicht befolgt werde, der „die Menschenwürde verletzt oder der nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist...“ Das Gesetz bringt damit die konkurrierenden Ziele der Disziplin und Mündigkeit in Einklang – eingedenk der Einsicht, daß kritische Bürgerloyalität dort erstirbt, wo Tugenden zum Selbstzweck werden. Der Rückblick auf die schrecklichen Verbrechen der Jahre 1939 bis 1945 kann – wie die raren Beispiele des Widerstands – Sensibilität für die ethischen Fragen nicht nur des Soldatenberufs schaffen.

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