: Drei Ausstellungen in 90 Jahren
Gesichter der Großstadt: Der fast 90jährige Arno Schmidt-Krotoschin ist ein Maler, der dem Kunstbetrieb sein Leben lang den Rücken gekehrt hat ■ Von Stefanie von Oppen
Eine türkise Stiefelette bohrt sich spitz in den dunklen Talar eines dickbäuchigen Pfaffen. Der Schnürstiefel gehört einer nackten Frau, die sich lasziv auf dem Rücken eines dunkelroten Pferdes räkelt. „Beim Malen fange ich gerne mit den Füßen an“, erklärt der Maler Arno Schmidt-Krotoschin und weiß selbst nicht genau, warum. Er sei nun mal ein „Fußfetischist“. Wenn er vor seiner Staffelei sitze, ergebe sich alles aus dem Unterbewußten: „Das ist in mir drin, und ich muß es auf eine zweidimensionale Fläche bringen.“
So selbstverständlich wie er über Erotik und sein eigenes Liebesleben spricht, so leicht und spielerisch verarbeitet er diese Themen in seinen Bildern. Manche seiner skurrilen Bilder wirken eher naiv, andere stecken voll hintergründigem, zuweilen bissigem Humor – und eben voller Erotik, denn die könne man doch nicht verschweigen: „Mit 90 kann man zwar nicht mehr so, aber in der Erinnerung und der Phantasie ist ja alles noch da.“
Schmidt-Krotoschin lebt in einem Atelier zwischen seinen zahllosen Skizzen und Gemälden und malt unermüdlich – seit Jahrzehnten fast unbemerkt von der hiesigen Kunstszene. Alte Künstlerfreunde sind längst gestorben, und mit anderen tauscht er sich nicht aus. Leicht war es für ihn damals nicht, als er unbedingt Maler werden wollte. Der Vater wollte aus ihm erst einen Lehrer und dann einen technischen Zeichner machen. Nach dem frühen Tod des strengen Justizinspektors studierte der Sohn in den zwanziger Jahren an der Reimann-Kunstschule in Berlin. Zunächst malte er vor allem Porträts von den Schauspielern seiner Zeit. Die Nazis nannten seine Kunst schließlich „entartet“ und verdonnerten ihn zum Zeitungsfahrer. Ein Märtyrer, der sein Leben mit politischen Aktionen aufs Spiel setzt, sei er zwar nicht gewesen, aber er habe immer gewußt, daß Hitler ein „Banause“ ist.
Nach dem Krieg verdiente er seinen Lebensunterhalt beim „Künstlernotstand“. Man beauftragte ihn, Motive in der Stadt zu malen. Verschmitzt erzählt Schmidt, daß er sein Wochenpensum mit Hilfe von Kamera und Overheadprojektor oft innerhalb von zehn Minuten erledigt habe. Nach sechs Jahren wurde die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Künstler gestrichen, und Schmidt landete in einem anderen Notprogramm im Arbeitsamt Kochstraße. Man schickte ihn in ein Verwaltungsgebäude zum Aktenabstauben.
Daß er bis heute eine regelmäßige Rente bezieht, verdankt er jenem Notprogramm. Mit seiner Kunst hat er nie Geld verdient. Zweimal stellte er seine Bilder in Galerien aus. Bei der zweiten Ausstellung erschien ein ganzes Heer von Journalisten, die jedoch enttäuscht wieder abzogen, weil sie nicht den berühmten Schriftsteller Arno Schmidt antrafen. Daraufhin hängte der „falsche Schmidt“ ein „Krotoschin“ an seinen Namen und pfiff fortan auf die Öffentlichkeit: „Ich habe einfach keinen Ehrgeiz, mir einen Namen zu machen.“
Schmidt, der 1918 als elfjähriger aus Krotoschin im ehemaligen Schlesien nach Berlin kam, war immer ein Eigenbrötler. Von den bekannten Malern beeinflußte ihn am ehesten Picasso. Kunstverständige wollen Schmidt den Berliner Malerpoeten zuordnen. Das amüsiert ihn: „Ich lasse mich nicht in ein Ressort einordnen.“ Er male „alles“ zwischen abstrakt und naturalistisch. Bei seinen Ausflügen aufs Land, die er am Wochenende mit seiner Freundin unternimmt, ist der Skizzenblock immer mit dabei. Beeindruckt hat ihn auch die Anthroposophie: Von ihr habe er die beiden „geistigen Prinzipien“ Lucifer und Arimann übernommen. Dargestellt als langhalsige Wesen mit Hut und Sonnenbrille, symbolisierten „sie das Spannungsfeld, in dem sich das Leben abspielt“.
Wenn ihm die Symbolik in seinen Bildern zu schwer wird, dann pinselt er einen Harlekin dazu: „Ich mag es nicht zu ernst, da muß immer ein bißchen Humor dabeisein.“ Menschen, die sich selbst zu ernst nehmen, lehnt er ab. Die Imagepflege mancher Künstler zum Beispiel ist ihm zuwider. „Nur vor der Staffelei bin ich ein Künstler, und wenn ich weggehe, bin ich ein ganz normaler Mensch“, sagt er. Daß er nun doch seine Bilder ausstellt, liege an den „Frauen um ihn rum“. Er habe nur unter einer Bedingung eingewilligt: „Ich mache nichts, ich male nur.“ Ein Besucher schrieb ihm nun in das Gästebuch der Galerie: „Arno, du bist ein großer Künstler, und das Wunderbare ist, du weißt es nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen