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„Kampf gegen die Zensur ist meine Pflicht“

■ „Manuskripte brennen nicht. Michail Bulgakow 1891-1940“ – Ausstellung über einen verfemten Dichter eröffnet

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er Hausflur der Wohnung Nr. 50 in der Moskauer Sadowaja 10 ist übersät mit Graffiti – manche stammen noch aus den 20er Jahren. Touristen und Bulgakow-Fans aus aller Welt haben sich hier verewigt. Der russische Schriftsteller Michail Bulgakow (1891-1940) hat hier gewohnt und die Adresse als „Wohnung des Teufels“ auch literarisch berühmt gemacht. Die Fotos, die den Hausflur zeigen, sind Teil der Ausstellung „Manuskripte brennen nicht“, die gestern abend in der Unteren Rathaushalle eröffnet wurde.

Wilfrid F. Schoeller, Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk, der bereits Ausstellungen über Heinrich Mann, Alfred Döblin und Oskar Maria Graf konzipiert hat, hat sich in hartnäckiger Recherchearbeit in russischen Archiven umgesehen – und ist mit Manuskripten, Erstausgaben, Briefen, Tagebuchnotizen und historischen Fotos zurückgekehrt, die den Betrachter eintauchen lassen in die Welt des Schriftstellers, Arztes und Satirikers Bulgakow, dessen lebenslange Tragik darin bestand, das nur wenige seiner Werke zu seinen Lebzeiten erschienen oder aufgeführt worden sind. Meist war die Zensur vor, Schikanen und Stalin.

1891 als Sohn einer Lehrerin und eines Theologen in Kiew geboren, studierte Bulgakow Medizin, praktizierte als Landarzt, erlebte den bolschewistischen Umsturz 1917/18 und ging dann nach Moskau: als Reporter und Feuilletonist. Und als Verfechter eines vorrevolutionären bürgerlichen Systems, als „Weißer“, deren Rehabilitierung er in seinem ersten Roman „Die weiße Garde“ vehement forderte. Schon dieses Werk konnte nur in Teilen erscheinen, die Zeitschrift, die es druckte, wurde verboten.

Einer kurzen Phase des Ruhms am Moskauer Künstlerthater folgte Ernüchterung. 1929 schreibt er an Stalin: „Der Kampf gegen die Zensur, unter welcher Macht sie auch existiert, ist meine Pflicht als Schriftsteller, ebenso wie Aufrufe zur Pressefreiheit. Ich bin ein glühender Anhänger dieser Freiheit.“ Bulgakow, bekennender Antikommunist, der bedauerte, nicht hundert Jahre früher gelebt zu haben, wurde daraufhin zum Regieassistent degradiert – an einem Theater, das seine Stücke nicht spielen durfte.

Viel äußerst positives Medien-echo bekam die Bulgakow-Ausstellung bereits in Frankfurt und Berlin. Doch ein wenig Vorinformation über den Autor und seine Zeit ist schon vonnöten, um sich in der Schau um Leben und Werk Michail Bulgakows zurechtfinden zu können. Was sich in den Vitrinen und auf den Stellwänden findet, sind gewiß aussagekräftige Zeitdokumente; doch eine effektivere Hinführung des Betrachters auf die Exponate hätte man sich – nicht jeder Besucher der Unteren Rathaushalle ist Bulgakow-Kenner – schon gewünscht.

Was im Gedächtnis bleibt, ist gleichwohl eindrucksvoll: das einzige erhaltene Rezept, das Bulgakow als Arzt ausgestellt hat; das Typoskript seines mutigen Mahnschreibens an Josef Stalin, in dem er um Ausreise aus der Sowjetunion bittet; die Verhörprotokolle aus der Lubjanka, dem Gefängnis der Staatssicherheit in Moskau, wo Bulgakow festgehalten wurde.

Letztere sind Dokumente, die der Schau „Manuskripte brennen nicht“ erst in Bremen hinzugefügt werden konnten – denn die Geisteshaltung der Leihgeber, u.a. des Literaturmuseums Moskau, der Bulgakow-Gedenkstätte Kiew und der Lenin-Bibliothek in Moskau, ist dem Begehr von Ausstellungsmacher Schoeller zunehmend freundlich gesinnt. Bei den Recherchen vor Ort und dem Wunsch nach Ausleihe von Objekten, teilte Schoeller der taz gestern mit, sei er mit drei Problemen konfrontiert worden: Daß die Russen und Ukrainer in den Archiven denken würden, im Westen seien alle Millionäre; daß sie seit Monaten keine Gehälter bekommen haben; und daß zwar die sozialistische Unbeweglichkeit theoretisch überwunden sei, in den Köpfen aber mitunter fröhliche Urständ feiere. Vertrauen haben die Archivare aus Rußland und der Ukraine inzwischen gewonnen, ein Assistent aus Moskau, mit dem Auftrag, über Ausstellungsbestand und -bedingungen zu wachen, reist gleichwohl mit der Ausstellung mit. Das alte Lenin-Wort taugt noch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Alexander Musik

„Manuskripte brennen nicht. Michail Bulgakow 1891-1940“, 22.1.-8.2., Untere Rathaushalle, 10-18 Uhr, Sa. 10-16 Uhr, So. geschlossen, Eintritt frei. Katalog zur Ausstellung (40 Mark).

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