Nationalistisch verroht

■ 55 Jahre Wannsee-Konferenz: Historiker kritisiert Goldhagen

Im Haus der Wannsee-Konferenz hat sich der Freiburger Historiker Ulrich Herbert vor rund 250 Gästen mit einem Vortrag in die Goldhagen-Debatte eingeschaltet. Der 45jährige sprach in der heutigen Gedenk- und Bildungsstätte zum Thema „Der ,Holocaust‘ und die deutsche Gesellschaft“ – in dem Raum, in dem vor 55 Jahren, am 20. Januar 1942, unter Vorsitz von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, 14 Vertreter deutscher Ministerien und der SS die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden billigten.

Die These des US-Soziologen Daniel J. Goldhagen („Hitlers willige Vollstrecker“), der den „eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen“ als zentrale Ursache für den „Holocaust“ interpretiert, wies Herbert als „einlinig und wissenschaftlich unzureichend“ zurück. Er selbst lenkte den Blick auf die „akademisch gebildeten und ideologisch aufgeladenen Eliten“ im nationalsozialistischen Staat. Verrohung, radikaler Nationalismus und Obrigkeitshörigkeit stellte der Freiburger Historiker als treibende Motive neben den Antisemitismus. Zudem hätten die „jungen Radikalen“ über die Beteiligung an der Vernichtung der JüdInnen den „Nachweis der Zugehörigkeit zur NS-Elite“ erbringen wollen, so Herbert.

Die Rolle der akademisch gebildeten Funktionseliten bei der Ermordung der Jüdinnen und Juden hat der frühere Leiter der Hamburger NS-Forschungsstelle in seinem 1996 erschienenen Buch über Werner Best exemplarisch herausgearbeitet. Best (1903–1989), Stellvertreter Heydrichs und Organisator des Reichssicherheitshauptamtes, war einer der einflußreichsten Ideologen der SS. Nach 1945 kämpfte er, wie Herbert darstellt, in der Bundesrepublik für Verjährung und Freispruch von NS-Verbrechern.

Allerdings rechnete der 45jährige Historiker dem Soziologen Goldhagen an, die HistorikerInnen wieder zur Beschäftigung mit dem in seiner Sicht zentralen Thema des Nationalsozialismus, dem Holocaust, gelenkt zu haben. „Die Frage nach der Geschichte des Genozids war zwar ständig in den Köpfen, wurde aber nicht behandelt“, resümierte Ulrich Herbert. So seien beispielsweise in Gesamtdarstellungen zum Nationalsozialismus der Ermordung der Jüdinnen und Juden immer nur wenige Seiten gewidmet worden. Monika Hinner