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So ist das in der Natur

■ betr.: „William Jefferson Clinton: Bald vor Gericht statt bei G7?“, taz vom 18./19.1. 97

Ich lese die taz normalerweise in der Hoffnung, hier eine Tageszeitung gefunden zu haben, die noch am ehesten so etwas wie einen emanzipatorischen Anspruch zu vertreten bereit ist – und „emanzipatorisch“, wir erinnern uns dunkel, sollte sich denn auch auf die Anliegen von Frauen beziehen.

Offensichtlich scheint dies der Autorin des oben genannten Artikels entgangen zu sein. [...] Während andernorts Frauen (und auch Männer) seit Jahrzehnten um eine adäquate Einstufung der sogenannten „Sexualstraftaten“ und „Lusttäter(!)“ kämpfen und immer wieder darauf hinweisen, daß es sich hier vor allem um ein Mittel der Einschüchterung und das Ausspielen von Macht (also um einen Angriff auf die Menschenwürde der von solchen Taten Betroffenen) handelt, was allenfalls sexuell verpackt daherkommt, scheint dies bei der taz noch nicht angekommen oder zumindest nicht auf Einsicht gestoßen zu sein. Im erwähnten Artikel ist in bezug auf die mutmaßlichen Taten Clintons ganz locker die Rede von seinem „Sexualverhalten“, und dieses ist dann natürlich direkt vergleichbar mit den „Sexskandalen“ des „amerikanischen Königshaussubstitutes“ namens „Kennedy-Clan“, dessen John F. ja seine Promiskuität in- und außerhalb des Weißen Hauses ganz ungeniert austobte.

Man mag sich nun Sorgen machen, ob die „Promiskuität“ eines Präsidenten mit „Damen aus Mafiakreisen“ der Stabilität des jeweiligen Staates zuträglich sein kann, ob das Volk einen Präsidenten verdient hat, der bestimmte sexualbezogene Werte vertritt, und wie diese auszusehen haben, auch ob und in welcher Richtung sich daran „30 Jahre später“ etwas geändert haben mag – fürwahr ein ergiebiges Thema. Was dies aber mit der mutmaßlichen sexuellen Belästigung und damit Verletzung der Menschenwürde durch einen amtierenden Präsidenten zu tun haben soll (und genau darum handelt es sich im Fall „William Jefferson Clinton“), die Antwort bleibt uns der Artikel schuldig. Solcherlei Vergleiche dienen wohl schon seit Urzeiten der Verschleierung der eigentlichen (Macht-)Problematik.

Passend zur Bagatellisierung der hier als „Sexualverhalten“ klassifizierten Machenschaften wird in dem taz-Artikel denn auch unterschwellig Stimmung gemacht für die Vorstellung, es handele sich bei diesem „Skandal“ um ein privates Ärgernis, das hoffentlich nicht den als wirklich politisch erachteten Alltag stört: Da muß unser „William Jefferson“ noch womöglich – Gott, wie lächerlich – „einen Nato-Gipfel abkürzen oder ein G7-Treffen absagen“, und dies nur zwecks Erörterung der „Beschaffenheit seines Geschlechtsteils“ vor Gericht. Sogar beim Layout scheinen die taz-Verantwortlichen von der Absicht geleitet worden zu sein, Paula Jones müsse als allzeit bereites Pin-up-Girl dargestellt werden – mit entsprechender Betonung der (extra ausgeschnittenen) Beine, die offenbar hier vor allem maßgeblich sein sollen. [...] Im Gegensatz zu Paula Jones darf Bill Clinton auf der gleichen taz- Seite die LeserInnen denn auch mit seiner Denkerstirn anivisieren. Wir verstehen hier endlich den Unterschied zwischen einer „Sekretärin einer kleinen Behörde“ und einem (zukünftigen) Präsidenten. So ist das in der Natur.

Zugegeben: Es hat in der Geschichte der Menschheit natürlich quantitativ und qualitativ sehr viel schrecklichere Verletzungen der Menschenwürde gegeben, mit denen ich die hier zur Debatte stehende Tat mit Sicherheit nicht gleichsetzen möchte. Zurück bleibt trotzdem die Frage, ob es denn nicht schizophren ist, von einem Präsidenten, der offenbar im „privaten“ Umgang in Sachen Menschenwürde keinerlei Ambienzen besitzt, dann auf einmal in der sogenannten „großen Politik“ die Vertretung und Einhaltung solcher Grundeinstellungen zu erwarten (abgesehen von der ebenfalls hinlänglich diskutierten Problematik einer Gegenüberstellung von „politisch“ und „privat“). Die taz hat hier offensichtlich – sei es aus plumper Unbedarftheit oder aus einem wie auch immer begründeten Anpassungswunsch heraus – eine besonders populäre und bequeme Möglichkeit gefunden, diesen Widerspruch für sich zu lösen: Man betrachte die ganze Angelegenheit nicht als Frage der Menschenwürde, gehe demnach davon aus, daß Frauen kein (sexuelles) Selbstbestimmungsrecht und somit auch keine Menschenwürde besitzen – dann kann sich kein Mann und auch kein Präsident nach entsprechendem Tun die Verletzung letzterer vorwerfen lassen, sondern allenfalls die Verursachung eines „Skandals“ auf dem Niveau regenbogenpressebeglückender Königshäuser. B. Gabriel, Schleswig

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