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Ein neuer Held für Disney World

35:21 gegen die Patriots: Mit dem längsten Kickoff-Return der Geschichte gewinnt Desmond Howard die Super Bowl für die Green Bay Packers  ■ Von Thomas Winkler

So werden Märchen geschrieben. So werden Helden gemacht. Noch vor sieben Monaten sah es so aus, als sollte die Karriere von Desmond Howard zu Ende sein. Doch in einer milden Januarnacht in New Orleans wird Howard, der Kickoff- und Punt-Returner der Green Bay Packers, zum überragenden Spieler des wichtigsten Sportereignisses der USA.

Drei neue Super-Bowl-Rekorde erlief Howard am Sonntag, vier weitere stellte er ein. Seine insgesamt 244 Yards waren der Unterschied in einem Spiel, das die Packers 35:21 gegen die New England Patriots gewannen, womit sie nach 29 Jahren wieder einmal und zum zwölften Mal insgesamt den NFL-Titel in die Kleinstadt in Wisconsin holten. „Er hat das Spiel für uns klar gemacht“, lobte Hobby- Priester Reggie White, der selbst einen Super-Bowl-Rekord aufstellte, indem er Patriots-Quarterback Drew Bledsoe dreimal sackte. White wußte aber natürlich, wer der wahre Schuldige war: „Gott hat mich hierher geschickt.“

Zwar hatten die Buchmacher den Packers einen Sieg mit genau den 14 Punkten Vorsprung prophezeit, die es schließlich auch wurden, aber das war auch die einzige Expertenvorhersage, die eintraf. Von den Patriots hatte man erwartet, daß sie versuchen würden, mit dem Ball zu laufen und ab und zu einen langen Paß zu riskieren. Das machten statt dessen die Packers, die schnell 10:0 führten.

Das hieß nichts: Ein paar Minuten später stand es schon 14:10 für die Patriots, die bis Mitte der zweiten Halbzeit im Spiel blieben. Da stand es 27:21, die Patriots hatten gerade einen Touchdown erzielt und „waren gerade richtig in Schwung gekommen“, wie ihr Quarterback Bledsoe glaubte.

Tatsächlich brachte Green Bay in der Offensive zu diesem Zeitpunkt nichts zustande, und auch die Defensive war nicht in der Lage, die Patriots zu stoppen. Doch beim folgenden Kickoff rannte Howard mit dem Ball über das ganze Feld, schüttelte Verteidiger ab wie lästige Fliegen und trug den Ball in die Endzone – das Spiel war entschieden.

„Das hat ihnen das Genick gebrochen“, wußte Howard nach diesem Kickoff-Return, mit 99 Yard der längste in der Super- Bowl-Geschichte. „Es ist mir persönlich peinlich“, sagte Corwin Brown, einer der Patriots, die Howard eigentlich hätten aufhalten sollen. „Selbst ich hätte diesen Kickoff zurücktragen können.“

Für Howard (26) war es der Höhepunkt einer Karriere, die schon beendet schien. Vor fünf Jahren hatte er die Heisman Trophy als bester College-Spieler seines Jahrgangs gewonnen. Anschließend wurde er von den Washington Redskins gedraftet und verschwand in der Versenkung. Vor zwei Jahren reichte man ihn an die Jacksonville Jaguars ab, als die neu in die Liga kamen. Doch selbst denen war er zu schlecht, und sie schmissen ihn wieder raus.

Letzten Sommer landete er bei den Packers. Es war seine letzte Chance, den Ruf loszuwerden, er sei zwar talentiert, aber zu faul. Wegen einer Hüftverletzung im Sommer-Trainingslager hätte auch seine Karriere in Green Bay beinahe nicht allzu lange gedauert; in letzter Sekunde rutschte er ins Team. In der regulären Saison wurde er dann der beste Spieler auf seiner Position in der NFL. „Ein wichtiger Grund, warum wir besser sind als im letzten Jahr“, lobte Packers-Quarterback Brett Favre, „ist der, daß wir Desmond haben.“

Howard machte den Unterschied aus und wurde denn auch zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Super Bowl gewählt. Favre, der MVP der regulären Saison, hatte ein durchschnittliches Spiel, aber er warf zwei Touchdowns und lief einen. Und vor allem leistete er sich keine Pässe zum Gegner wie sein Gegenüber Bledsoe, dem das Kunststück gleich vier Mal gelang. Auch das ist ein Super-Bowl-Rekord, wenn auch ein unrühmlicher. „Die Packers haben ein praktisch fehlerloses Footballspiel gespielt“, mußte Bledsoe anerkennen.

Weswegen Green Bay sich jetzt wieder zu Recht „Titletown“ nennen darf, und Reggie White direkt nach dem Spiel erstmals ein paar Teamkollegen, aber auch einige Patriots um sich sammelte, um ein Gebet zum Himmel zu schicken.

Man kann nur hoffen, daß Howard in die Gebete eingeschlossen war – dem MVP steht einiges bevor. Gestern mußte er nach Disney World fliegen, um dort eine Parade anzuführen. Sofort anschließend jettete er nach Green Bay, um an der Siegesfeier teilzunehmen. Und heute abend muß er sich von David Letterman ausfragen lassen. „Mir ist noch gar nicht klar, was eigentlich passiert ist“, sagte Howard, „in ein paar Tagen wird alles gesackt sein. Aber gerade im Moment wirkt alles ziemlich unwirklich.“

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