piwik no script img

Das schlüpfrige Es des Diplomaten

■ Der Dokumentations-Fake Das Phantom von Bonn zeugt vom Humor einer Männerclique

Wofür unsere Diplomaten doch alles Zeit haben. Anstatt in den großen Krisengebieten der Welt kreative Lösungsstrategien zu entwickeln, benützen sie ihre Gehirne zu einem weltumspannenden Mythen-Gaga um einen angeblichen Geheimdiplomaten Edmund F. Dräcker. Aus Verlegenheit einst erfunden, damit ein gelangweilter Nazidiplomat eine Protokollsitzung zu Hitlers Besuch bei Mussolini schwänzen konnte, machte sich eine stetig wachsende Clique hochrangiger Regierungsbeamter in den nächsten Jahren einen Spaß daraus, die Figur am Leben zu halten und sie mit einer immer bizarrer werdenden Biografie auszustatten.

Vom kaiserlichen Reserveoffizier zum verdeckten Kommissär, zum indischen Guru, der eine deutsche Flagge in der Antarktis hißt, um deutsche Besitzansprüche zu erklären, reicht das frohgemute Hirngespinste des Männer-Clubs. Und um Nachrichten über ihr Phantom zu lancieren, benutzten die Herren offenkundig ihre Beziehungen und Stellungen, solange, bis auch der Spiegel und die DDR sich mit dem Agentengespenst befaßten und es offizielle Akten und Briefwechsel über Dräcker gab.

Der „fiktive“ Dokumentarfilm Das Phantom von Bonn von Claus Strobel, an Hamburger Lokalitäten nachgestellt und vom Filmbüro mitfinanziert, gibt sich zwar alle Mühe, 90 Minuten lang den Eindruck zu erwecken, Dräcker hätte wirklich gelebt, aber alleine das zunehmende Schmunzeln der diversen interviewten Dräckerianer straft das Ansinnen zügig Lügen.

Dennoch ist es bemerkenswert, wie eingespielt die alten Herren, die sogar ein Dräcker-Museum eingerichtet haben, ihren Schwindel ohne Widersprüche spinnen. Und hier macht der Film Spaß: Die Beobachtung der staatstragenden Charaktere von ihrer humorvollen Seite vermittelt eine Menge über Beamtenpersönlichkeit und das menschliche Fundament von Politik. Denn natürlich besitzt Dräcker alle verdrängten Sehnsüchte der knarzenden Diplomatenverbindung: Er ist selbstverständlich ein großer Frauenheld, dazu ein Abenteurer, der sich geschickt mit einer geheimnisvollen Aura umgibt. Er ist frei und trotzdem Patriot, liebt das genußvolle Leben und hat zudem einen jugendlichen Hang zu absonderlichen Grillen. Er ist sozusagen das schlüpfrige Es des diplomatischen Korps.

Gegen diese psychologische Spürarbeit sind die Spielszenen mit Hermann Lause als Dräcker in ihrer dilettantischen Machart leider eine schwere Zumutung, zumal der Film auch ohne diesen Firlefanz ausgekommen wäre und zudem viel zu lang ist. Till Briegleb

Metropolis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen