: Verhaltener Streikauftakt in Bulgarien
Nach dem Regierungsauftrag für die Exkommunisten wollen die drei größten Gewerkschaften das Land völlig lahmlegen. Busse und Bahnen in Sofia stehen still, aber nur für eine Stunde ■ Von Barbara Oertel
Sobald die Sozialisten das Mandat zur Regierungsbildung erhalten, wird der Generalsteik unbefristet ausgerufen. Wir werden das ganze Land lahmlegen“, kündigte ein Mitglied des Streikkomitees der zweitgrößten bulgarischen Gewerkschaft, Podkrepa, vergangene Woche an. Gestern morgen war es dann soweit: Streikende blockierten Straßen, unter anderem die Verbindungsstraße von Sofia nach Russe an der Donau und den Grenzübergang nach Griechenland. In der Hauptstadt Sofia blieben Züge und Busse am Morgen für eine Stunde lang in den Depots. Gestreikt wurde auch in 347 Schulen und Kindergärten. Insgesamt blieb die Streikbeteiligung jedoch hinter den Erwartungen der Gewerkschaften zurück.
Am Dienstag hatte Staatspräsident Petar Stojanow, nachdem sich alle Hoffnungen auf einen Kompromiß in Luft aufgelöst hatten, die Sozialistische Partei Bulgariens (BSP) gemäß der Verfassung beauftragt, ein Kabinett zusammenzuzimmern. Noch einmal appellierte er dabei an die Exkommunisten, auf den Auftrag zu verzichten. Die Sozialisten lehnten den Vorschlag von Stojanow ab, das Mandat aber nahmen sie an.
Bereits seit mehreren Wochen bereiten sich die drei wichtigsten Gewerkschaften, KNSB, Podkrepa und Promiana auf den Tag X vor. In einem gemeinsamen Gremium, dem Koordinationsrat, stimmen sie und Vertreter der Studenten jeden Tag ihre Protestaktionen ab. Das Ziel, das alle zusammenschweißt, ist: Neuwahlen bis spätestens zum Sommer, eine eine Übergangsregierung aus Experten, keinesfalls aber eine zweite Regierung unter Führung der BSP. Doch so einig wie in diesen Tagen waren sich die bulgarischen Gewerkschaften nicht immer.
Podkrepa mit rund 300.000 Mitgliedern entstand im Februar 1989 und hatte ihren Ursprung in Dissidentenkreisen. Einige ihrer Mitglieder waren maßgeblich an der Gründung der Union der demokratischen Kräfte (SDS) beteiligt. Eine enge Verbindung zur SDS besteht bis heute, trotz Versuchen, autonom zu bleiben und sich gegen die Parteien abzugrenzen.
Demgegenüber ist die KNSB als Nachfolgeorganisation der ehemals kommunistischen Gewerkschaft (knapp über eine Million Mitglieder) immer noch Sammelbecken für viele BSP-Mitglieder. Allerdings ist sie, nach Aussage ihres Vorsitzenden Kristio Petkow, auf einen sozialdemokratischen Kurs eingeschwenkt. Die Verantwortlichen für die derzeitige Krise nennt Petkow klar beim Namen: Die BSP-Regierung unter Schan Widenow. „Sie hat Reformen unterlassen und die Privatisierung verschleppt“, sagt Petkow.
Einzelheiten der Streikstrategie möchte der KNSB—Chef nicht bekanntgeben. Bereits Anfang Dezember waren Streikaktionen in einzelnen Betrieben angekündigt und von der Presse bekanntgegeben worden. Wie von Geisterhand erhielten die Arbeiter dieser Betriebe in der Nacht vor dem Termin ihre seit Monaten überfälligen Löhne. Mit dem Geld schwand die Streikmoral erstmal dahin.
In den landesweiten Ausstand sollen erstmals auch Eisenbahner und Medienvertreter eingebunden werden. Ihnen ist es laut Gesetz untersagt zu streiken. „Alle haben ein Recht auf Brot. Deshalb sollen auch alle streiken“, sagt eine Vertreterin von Podkrepa.
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