■ Der Vatikan als Rehabilitierungs-Institut
: Päpstliche Altersstrategien

Rom (taz) – Wer möchte da noch sagen, daß Alter nicht weise macht: Mit Mordsschritten eilt Karol Wojtyla, seines Zeichens Aufsichtsratschef der Katholiken-AG in Rom, bei den Kurskorrekturen und der ideologischen Sanierung seines Unternehmens voran. Alte Zöpfe werden abgeschnitten, blamable Fehlinvestitionen getilgt – er wird wohl als eine Art Schrempp des Glaubensgeschäfts in die Geschichte eingehen. Wie der Daimler-Benz-Chef bricht Wojtyla Tabus, schiebt angestammte Manager beiseite und nimmt Gegnern den Wind aus den Segeln.

Neuester Coup: die volle Rehabilitierung des Dominikanermönchs Savanarola, den die Heilige Kirche 1498 in Florenz wegen Häresie hatte aufhängen lassen. Der Mann hatte urchristliche Lebenskargheit und die wörtliche Umsetzung der Lehren Christi in die Tat gefordert und vor allem die an üppiges Wohlleben gewöhnten Mitglieder der römischen Kurie heftig gezaust. Auch der 1600 auf dem Campo de fiori in Rom verbrannte Philosoph Giordano Bruno gilt inzwischen nicht mehr als Ketzer, und Martin Luther bekam von Wojtyla mittlerweile sogar das Prädikat „gerechtfertigter Kritiker“ zuerkannt.

Begonnen hatte die römische Kirche mit einer weicheren Linie allerdings schon vor 30 Jahren. Da erklärte der milde Papst Johannes XXIII. das alte Verdikt gegen Galileo Galilei in Sachen Erdbewegung um die Sonne für erledigt. Doch danach ging nicht mehr allzu viel. Wojtyla entdeckt sich selbst nun als eine Art Liberalen, der auch mal andere als seine eigene Überzeugung gelten läßt. Mitunter fischt er dabei sogar in fremden Gewässern. So hat er unlängst auch den alten Darwin mit seiner Zuchtwahltheorie wieder zu Ehren gebracht, obwohl der der Katholen-AG gar nicht angehörte.

Aber nicht nur beim Transfer von der Hölle in den Himmel zeigt der Papst sich neuerdings konziliant. Inzwischen wettert er auch schon mal gegen die Todesstrafe und weicht die vordem harte Abwertung der Frau auf, indem er ihren Schutz vor der reinen Männergesellschaft zur vordringlichen Aufgabe erklärt (was aber keinen Zugang zum Priesteramt oder Entscheidungsgewalt über Schwangerschaft bedeutet).

Was den nunmehr aus den Höllenflammen geretteten Savonarola angeht, so hat der Mann für Wojtyla wohl auch eine ganz besondere Bedeutung, die übers bloße Rehabilitieren hinausgeht: Er war der erste große kirchliche Kritiker des entstehenden Kapitalismus; sein Kampf galt zunächst der überreichen Bankiersfamilie Medici und den von ihr abhängigen Kurialen in Rom, die mit ihrem Prunk den ersten großen Konsumrausch Europas gefördert hatten. Als die Medici von Karl VIII. vertrieben wurden, rief Savonarola Christus zum König von Florenz aus und führte ein theokratisches Regiment ein – just das, was Johannes Paul II. insgeheim so bei der Konkurrenz der Islamisten im Orient bewundert.

Zwei Fliegen also mit einer Klappe: die Tilgung des schändlichen Urteils, dem alle zustimmen müssen – und die Vereinnahmung dieser Zustimmung für die Ziele, die Wojtyla schon immer verfolgte. Die Weisheit des Alters kann auch darin bestehen, Umwege zu gehen, die man früher vermieden hat. Werner Raith