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„Ein Chaos in höchster Potenz“

■ betr.: „Waigels Coup schmeckt dem Nachwuchs nicht“, taz vom 21. 1. 97, „Waigel rechnet alle reich“, taz vom 24. 1. 97 ff., „Theo Waigel macht die SPD steuerlos“, taz vom 25. 1. 97

Eigentlich hat mich Theo W. mit seinen Steuervorschlägen eher positiv überrascht. Wer hätte ihm soviel Mut zur Innovation zugetraut? Ich begrüße, daß Lebensversicherungen besteuert und die Fahrtkostenpauschale gekürzt wird, an der Besteuerung von Sonntags- und Nachtzuschlägen kann ich nichts Anstößiges finden. Wir Gewerkschafter müssen uns den Ausgleich bei den Arbeitgebern holen! Aber daß Theo den Rentnern an die Groschen will und den Reichen Abertausende schenkt, macht mich zornig. Eckard Dürr, Neuendettelsau

Daß bei den Wählern die geplante Steuerreform nicht gut ankommt, scheint verständlich. CDU-Landespolitiker scheinen da näher an der Basis zu sein als die Bonner Politiker. Gerade die unheilvolle Verquickung von Erhöhung der Mehrwertsteuer und Einkommensteuersenkung zeigt wenig sozialpolitisches Fingerspitzengefühl. Trifft doch eine Mehrwertsteuererhöhung immer die niedrigen Einkommensbezieher, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger besonders hart gegenüber den sogenannten Besserverdienenden. Nach diesem Diskussionsstand wird mit der einen Hand gegeben (Einkommensteuersenkung) und mit der anderen Hand zumindest teilweise wieder genommen (Mehrwertsteuererhöhung). Der große Wurf bei der Steuerreform ist das nicht gerade. Merkmale einer großen Steuerreform sollten ein steuerfreies Existenzminimum in angemessener Höhe (nach Vorgaben des Verfassungsgerichts), eine gerechte Besteuerung aller Einkommensarten und Vermögen, Abbau aller Steuerprivilegien und Senkung der Lohnnebenkosten sein. Weniger kann man allenfalls als „Reförmchen“ bezeichnen, aus dem schnell die Luft raus ist. Klaus Jürgen Lewin, Bremen

Die Finanz- und Sozialpolitik der Bundesregierung ist ein heilloses Durcheinander, ein Chaos in höchster Potenz.

Da wird den Bundesbürgern zunächst empfohlen, angesichts der Finanzsituation der Bundeskassen doch selbst zusätzliche Vorsorge für das Alter zu treffen, und zwar in Form von entsprechenden Versicherungen, Betriebsrenten u. ä. Die Sozialrente sei zwar sicher, jedoch könne man nicht eine ausreichende Höhe der Renten garantieren. Weil sie aber den wohlverdienten Ruhestand genießen und sich auch als Rentner nicht gerne einschränken möchten, haben schon vor diesen Empfehlungen der Regierung viele Menschen eine entsprechende Vorsorge getroffen, aus ihrem versteuerten Einkommen, versteht sich.

Auf der Suche nach weiteren, möglichst einfach und widerstandslos zu erreichenden Geldquellen zum Stopfen der riesigen Haushaltslöcher bringt dann der Finanzminister die Versteuerung der Renten ins Gespräch, und zwar mit dem beschwichtigenden Hinweis „Normale Rentner werden nicht betroffen!“

Jedoch, was ist ein „normaler Rentner“? Ein jeder ist doch selbstverständlich von seiner Normalität überzeugt; denn er hat doch ganz normal und vernünftig Vorsorge für sein Alter getroffen, so wie es ihm angeraten wurde. Erst wenn sich – vielleicht schon sehr bald – herausstellt, daß auch sein Alterseinkommen versteuert werden muß, wird er sehr erstaunt feststellen müssen, daß er in den Augen dieser von ihm gewählten Politiker als nicht normal betrachtet wird. [...] Hoffentlich vergessen die Menschen bis zur nächsten Wahl nicht diese üblen Taschenspielertricks. Werner Ortmann,

Korschenbroich

Der von seiten der Bundesregierung dargestellte „Große Wurf“ alias „Steuerreform“ stellt sich bei genauerem Hinsehen als ein Hohn heraus. Zwar werden die prozentualen Abzüge des zu versteuernden Jahreseinkommens gesenkt. Durch die gleichzeitige Senkung der Arbeitnehmerpauschale für Werbungskosten (derzeit 2.000Mark) steigt jedoch das zu versteuernde Jahreseinkommen, nämlich um 700 Mark, an. Möglicherweise wird dem Arbeitnehmer hierdurch am Ende sogar ein höherer Einkommensteuerbetrag abgezogen als vor der „Reform“.

Die Kilometerpauschale für Fahrten mit dem eigenen Pkw soll auf 40 Pfennig pro Kilometer gesenkt werden und erst ab einer Entfernung von 16 Kilometern zwischen Wohnort und Arbeitsstätte gelten. Um das Umsteigen vom Auto auf Bus und Bahn zu fördern, sollte der volle Jahresbeitrag der Kosten für die ÖPNV- Netzkarte abgesetzt werden können. Dazu konnte ich in den bisherigen Veröffentlichungen zur Steuerreform nichts finden.

Unklar ist auch, wie diese Unkosten mit der gesenkten Arbeitnehmerpauschale verrechnet werden sollen. Hinzu kommt die Besteuerung von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeiten. Dies führt zur Ungleichbehandlung von Facharbeitern, die eine geregelte Arbeitszeit („von 8 bis 16.30 Uhr“) haben und Arbeitnehmern in Berufszweigen, bei denen es ohne Sonderschichten nicht geht. Die „Ersparnis durch die Steuerreform“ kann zum Beispiel für eine Krankenschwester bis zu einem Viertel! weniger betragen. Die Krankenschwester wird nun doppelt bestraft – sie hat weniger Freizeit und höhere Steuerabgaben! Der Betrug am Bürger geht weiter.

Die geplante Versteuerung von Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosen-, Kranken- und Kurzarbeitergeld zur Hälfte ist ein Skandal. Dies gilt ebenso für die geplante Besteuerung der Renten, die meines Erachtens allein schon aufgrund der nun erfolgenden „doppelten Besteuerung“ illegal ist. Die Aussage „Renten bis zu einem Jahresbeitrag von 31.511 bzw. 62.594 Mark bleiben steuerfrei, sofern keine anderen zu versteuernden Einkünfte erzielt werden“, besagt nichts. Was gilt als „andere steuerpflichtige Einkunft“ und wie wird bei Vorliegen einer solchen die jeweilige Rente besteuert?

Arbeitslose und Rentner sind die Verlierer dieser Reform. Durch die zusätzlich beabsichtigte Erhöhung der Mehrwertsteuer werden sie zweifach zur Kasse gebeten.

Aufgrund des nach wie vor anhaltenden Trends der Rationalisierung und Nicht-Neubesetzung von freiwerdenden Arbeitsplätzen durch die Unternehmen – trotz steigender Gewinne – ist es fraglich, ob durch diese Steuerreform wirklich neue Arbeitsplätze entstehen. Die Krönung des Paketes ist die geplante Halbierung des Sparer-Freibetrages. Der Bürger mit gesundem Menschenverstand fragt sich, warum dieser vor zirka sechs Jahren auf den zehnfachen Wert erhöht wurde. Wollte man hiermit nicht die Steuerflucht ins Ausland eindämmen? Eine Senkung der Kapitalertragssteuer um fünf Prozent ist ein Witz – eine Bereitschaft, das Kapital im Lande zu lassen, dürfte dann kaum vorhanden sein.

Fazit: Die Umverteilung von unten nach oben hält also wieder mal an. Durch das Wahlverhalten in diesem, vor allem aber im nächsten Jahr ist eine Verhinderung des Schlimmsten möglich. Eine Regierung, die sich in zunehmendem Maße ihrer sozial- und umweltpolitischen Verantwortung entzieht, ist nicht tragbar. Elke Schneider, Wiesbaden

Die Steuerreform ist nichts anderes als ein Moneyfest für Kapitalisten. Den Lohnabhängigen bleibt bald noch nicht einmal in ihren Tellern die Kohl-Suppe zum Auslöffeln, die sie sich selbst eingebrockt haben. Und genau genommen ist es das, was der deutsche Arbeiter braucht: Einen leeren Teller, eine schwangere Frau und sieben hungrige Kinder.

Helmut Kohl muß zugestanden werden, daß er nicht mehr in Fettnäpfchen tritt, sondern mit ihnen gezielt wirft. Und scheinbar trifft er auch genau den Wählerwillen. Denn die SPD duckt sich nur noch und dem DGB fällt nichts anderes mehr ein, als einzuladen zu Wochenendkaffeefahrten mit Volkswanderung durch bundesdeutsche Städte. Dieter Weis, Estenfeld

[...] Im Volksmund hört man bisweilen schon das Wort Sozialrassismus und meint damit das Wirken der Kohl-Regierung. Die SPD hat aber leider kein Ohr fürs Volk. Es ist kein gutes Omen, wenn sich Oskar und Co. als schlechte Trittbrettfahrer den Irrwegen einer „kapitalistischen Anarchie“ anschließen, die von Kohls Wirtschaftspolitikern als „Globalisierung“ propagandistisch verkauft wird. Mit allen negativen Tendenzen für uns, gegen die Sozialdemokraten kein politischer Wurf einfällt. Armes Deutschland. Tom Rocker, Hamburg

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