: Polizei durchsucht die Zeitung „junge Welt“
■ Bundesanwaltschaft läßt Redaktionsraum der linken Tageszeitung durchstöbern: Ein Redakteur wird der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bezichtigt
Berlin (taz) – Bei ihrer Suche nach Beweismaterial gegen angebliche Mitarbeiter der autonomen Zeitschrift radikal hat die Bundesanwaltschaft gestern erneut zugeschlagen. In Berlin wurden gestern drei Privatwohnungen und ein Redaktionsraum der Tageszeitung junge Welt durchsucht. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wird drei angeblichen radikal-Mitarbeitern die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Werbung für eine terroristische Vereinigung sowie weitere Straftaten vorgeworfen.
Zu Festnahmen kam es dabei jedoch nicht. Ob die Bundesanwaltschaft gegen die drei Verdächtigen auch Haftbefehle ausstellen wollte, blieb gestern unklar. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte sich dazu auf taz-Anfrage nicht äußern.
Begründet wurde die Durchsuchungsaktion mit Erkenntnissen, die die Bundesanwaltschaft aus zwei bundesweiten Razzien 1995 gegen angebliche radikal-Mitarbeiter beziehungsweise -Unterstützer gewonnen haben will. Nach Angaben der angeblich einzig linken Tageszeitung junge Welt (jW) beschlagnahmten acht Beamte des Polizeilichen Staatsschutzes Unterlagen sowie einen Computer des jW-Redakteurs Wolf-Dieter Vogel.
Der 35jährige, der seit 1995 bei dem Blatt arbeitet, befand sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung auf einer Lesetournee. Für gestern abend war ein Vortrag im sachsen- anhaltinischen Halle geplant.
Vogel, den die Bundesanwaltschaft in ihrem Durchsuchungsbeschluß als Mitverantwortlichen der „linksextremistischen/linksterroristischen Untergrunddruckschrift“ radikal verdächtigt, hatte in der Vergangenheit regelmäßig über die Brandkatastrophe in einem Lübecker Asylbewerberheim berichtet. Dies sei, so mutmaßte die jW-Redaktion in einer Erklärung, auch der eigentliche Grund für die Polizeiaktion.
Die jW bezeichnete die Durchsuchung gestern als „schweren Verstoß gegen die Pressefreiheit“. Durch die Beschlagnahme des Personalcomputers, der Daten für die heutige Ausgabe enthalten habe, sei die Produktion „faktisch außer Kraft“ gesetzt worden. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Manfred Such protestierte gegen die Durchsuchung umgehend.
Demnächst soll in Koblenz ein Verfahren gegen vier angebliche radikal-Mitarbeiter eröffnet werden. Die vier Beschuldigten waren am 13. Juni 1995 verhaftet, im gleichen Jahr aber aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Die Koblenzer Staatsanwälte erklärten die Redaktion von radikal zu einer „kriminellen Vereinigung“. Den Beschuldigten wird vorgehalten, nicht nur für die Rote Armee Fraktion und andere linke Gruppierungen geworben, sondern diese auch „propagandistisch“ unterstützt zu haben. Severin Weiland
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