■ Serbien: Milošević' Polizei prügelt gegen Demonstranten
: Flucht nach vorn

Konfuse Taktik oder strategische Neuorientierung? Die Prügelorgie der Belgrader Miliz gegen friedliche Demonstranten in der Nacht von Sonntag auf Montag ist bislang beispiellos. Dutzende von Demonstranten mit Knochenbrüchen, geheimdienstliche Verfolgung von Vuk Drašković, Knüppeleinsatz gegen Vesna Pešić, gezielte Angriffe auf Journalisten. Das sieht nicht nur nach einer härteren Gangart des Regimes aus, das ist eine gezielte Provokation. An ein kleines Jubiläumsgeschenk des serbischen Präsidenten zum 75. Tag der Zajedno-Demonstrationen mag in Belgrad niemand glauben.

Gewalt als Mittel der Politik ist dem Belgrader Regime nicht fremd. Und Gewalt gegen das eigene Volk auch nicht. 1991 ließ Milošević bekanntlich Panzer auffahren, um der Opposition gegen den Krieg den Garaus zu machen. Doch eine solch freie Hand hat er diesmal nicht. Die Proteste aus Washington, Bonn und Paris gegen die Belgrader Prügelorgie kamen prompt. An Deutlichkeit ließen sie nichts zu wünschen übrig. Aber scheltende Worte allein jagen dem Belgrader Alleinherrscher noch keine Angst ein.

Dennoch: Der sozialistische Machtapparat bröckelt. Das Regime ist auf der Verliererstraße. Die bisherige Hinhaltetaktik von Milošević hat den Konflikt einer Lösung nicht einen Schritt näher gebracht. Die Ausdauer der Studenten und der Zajedno-Koalition scheint ungebrochen. Ein ums andere Mal wurden die schwerbewaffneten, durchtrainierten und gutbezahlten Milizionäre des Regimes düpiert, von Studenten, die halt fünf Minuten länger aushielten. Das schafft Frustrationen, auch im Polizeiapparat. Es ist von daher nicht ausgeschlossen, daß der Einsatz zustande kam, weil die seit Wochen arg gebeutelten Milizionäre einmal ordentlich den Knüppel schwingen wollten.

Politischen Gewinn aber kann Milošević daraus nicht ziehen. Die zugesagten Lösungsvorschläge hat er noch nicht vorgelegt. Und je länger er wartet, desto wahrscheinlicher ist es, daß er nicht den Empfehlungen der OSZE folgen und die Wahlsiege der Opposition anerkennen wird. Der brutale Polizeieinsatz ist deshalb vor allem Ausdruck von Konfusion und Ratlosigkeit in den Reihen des Regimes. Der politische Bankrott und die schleichende Erosion der Macht in den Reihen der herrschenden Sozialisten machen Polizeieinsätze dieser Art immer wahrscheinlicher. Aber sie werden nicht das Ende der Opposition, sondern das Ende des Regimes einläuten. Georg Baltissen