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Milliarden aus dem Weltraum

Noch boomt das Raketengeschäft, doch der Absturz ist sicher. Denn nach Europa und den USA wollen Indien und China Raketen anbieten  ■ Von Anatol Johansen

Die Raumfahrt ist immer gut für Überraschungen – und das betrifft nicht nur die Wissenschaft, sondern auch den Kommerz. So waren noch Anfang der siebziger Jahre Experten davon ausgegangen, daß bis zum Jahre 2000 allenfalls 20 neue Nachrichtensatelliten starten würden. Inzwischen hat sich diese Summe im Gegensatz zu dieser Vorhersage längst vervielfacht, und das Raketengeschäft boomt weltweit. Die Hersteller können den Bedarf an Trägerraketen für den Start von Nachrichten- und andere Satelliten kaum decken. Doch jetzt zeichnet sich ein Nachfrageeinbruch ab, wie ihn die Branche bisher noch nicht erlebt hat.

Zu diesem Schluß kommt zumindest die renommierte Beratungsfirma „Euroconsult“ in Paris. Die Schätzungen der in der „Arianespace“ zusammenarbeitenden europäischen Raketenhersteller sowie die amerikanisch-russische International Launch Services (ILS) gehen in dieselbe Richtung. Arianespace und ILS besorgen heute die große Mehrzahl aller weltweit zu vergebenden Satellitenstarts.

Gegenwärtig läuft noch alles bestens. Die erfolgreiche europäische Ariane-Rakete etwa ist mit rund 40 noch zu startenden Satelliten auf drei Jahre hinaus völlig ausgebucht – ein Auftragspolster von mehr als drei Milliarden Dollar. So hat Arianespace noch im vergangenen Sommer bei der europäischen Weltraumindustrie zehn zusätzliche Exemplare ihrer zuverlässigen und bewährten Ariane-4- Raketen geordert. Sie soll der steigenden Nachfrage nach Satellitenstarts gerecht werden und den Übergang auf die – von einem mißglückten Versuchsstart belasteten – Ariane-5 erleichtern.

Auch die Konkurrenz schläft derweil nicht. Die ILS in San Diego (Kalifornien) – die sowohl die amerikanischen Atlas- als auch die bewährte und zuverlässige russische Proton-Rakete vermarktet – bestellte zusätzliche acht Atlas- Raketen. Nach dem geglückten Start des ersten westlichen Satelliten auf einer russischen Proton ist sie gut im Geschäft. Für die nächsten drei Jahre hat ILS 16 Start- Aufträge von fünf Organisationen erhalten, die Anzahlungen zwischen einer und sieben Millionen Dollar leisteten. Zusätzlich sollen mit drei Proton-Raketen insgesamt 12 Iridium-Satelliten für ein weltweit operierendes Funktelefonsystem starten.

Das Nachsehen beim Raketenboom haben derzeit noch die Chinesen. Nur 22 Sekunden nach dem Start war ihnen am 14. Februar 1996 eine Rakete des Typs „Langer Marsch 3B“ explodiert. Dabei waren nach chinesischen Angaben sechs – einem israelischen Beobachter vor Ort zufolge etwa 100 – Menschen ums Leben gekommen. Außerdem ging der Kommunikationssatellit der Internationalen Nachrichtensatellitenorganisation Intelsat verloren. Schon im Januar 1995 war der Satellit Apstar-2 auf einer Rakete des Typs Langer Marsch abgestürzt.

Euroconsult meint jetzt zwar, daß der Bedarf an Startraketen auch bis Anfang des nächsten Jahrzehnts anhalten wird, wobei der Höhepunkt etwa im Jahre 2000 erreicht werden soll. Innerhalb der nächsten zehn Jahre, so die Marktforscher, werde sich die Nachfrage nach Satellitenstarts nahezu verdoppeln. Nicht weniger als 33,4 Milliarden Dollar würden in diesem Zeitraum für zivile Startraketen ausgegeben werden. Verträge für die Hälfte dieses Auftragsvolumens seien bereits jetzt unterzeichnet.

Doch schon ab 1998 werde das Angebot der Raketenhersteller die Nachfrage nach Starts überschreiten. Denn zu diesem Zeitpunkt wird nicht nur die neue europäische Ariane-5 auf den Markt drängen. Die von See zu verschießende amerikanisch-russische Zenith soll ebenfalls 1998 erstmals starten. Sie wird von einer umgebauten norwegischen Bohrinsel von einem äquatorialen Standort im Pazifik gestartet. Schon jetzt hat die „Sea Launch Corporation“ 15 unterschriebene Startverträge in der Hand und plant sechs Starts pro Jahr. Die europäische Ariane startete im vergangenen Jahr zehn Mal.

Im gleichen Zeitraum will McDonnell Douglas seine neue Delta-3 auf den Markt bringen. Das ist eine Rakete, die mit einer Nutzlast von 3,8 Tonnen in die Größenklasse der heute fliegenden Ariane-4 vorstößt, die etwa 4,6 Tonnen schwere Satelliten ins All bringen kann. Der Entschluß, die neue Rakete zu bauen, wurde den Bossen von McDonnell Douglas dadurch erleichtert, daß der weltgrößte Hersteller von Nachrichtensatelliten, die Hughes Space and Communication Corporation, einen Vertrag unterschrieben hat, der den Start von 10 Hughes-Satelliten auf der Delta-3 vorsieht. Er soll einen finanziellen Umfang von etwa 1,5 Milliarden Dollar haben. Auch die Delta-3 wird sich also ihren Anteil an den weltweit zu vergebenden Satellitenstarts sichern.

Damit nicht genug, stößt zu den Wettbewerbern auch noch die neue japanische H2. Die erfolgreiche Rakete hat ihre ersten vier Starts fehlerlos hinter sich gebracht und drängt jetzt in einer verstärkten Version ebenfalls auf den Markt. Auch für sie konnten inzwischen die ersten Startverträge gesichert werden. Und schließlich will auch noch Indien, das seit langem über eine Raumfahrtindustrie verfügt, erstmals mit einer eigenen zivilen Rakete ins Weltraumgeschäft einsteigen.

Während also all diese Raketen neu auf den Markt kommen, wird die Nachfrage nach Satellitenstarts Mitte des nächsten Jahrzehnts dramatisch abfallen. Auf weniger als die Hälfte des heutigen Bedarfs, schätzt Euroconsult. Zum einen sind bis etwa 2010 genügend Satelliten im Orbit. Zum anderen halten heutige Sputniks 15 Jahre im All durch, mehr als doppelt solange wie früher. Es wird ein erhebliches Überangebot an Startraketen den Markt belasten, und ihre Hersteller dürften in Schwierigkeiten kommen. Ein erbitterter Konkurrenzkampf mit Dumpingpreisen könnte die Folge sein. Das wäre auch für den heutigen Marktführer, die europäische Arianespace, schmerzlich. Seit Jahren hat sie mehr als 50 Prozent der weltweit zu vergebenden zivilen Satellitenstarts. Diesen hohen Marktanteil wird sie angesichts der sich ausweitenden Konkurrenz schon in Kürze nicht mehr aufrecht erhalten können.

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