Entscheidung in Belgrad

■ Serbiens Präsident Milošević lenkt ein und stellt Anerkennung der Kommunalwahlen in Aussicht.

Berlin (taz) – Das wochenlange Kräftemessen zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević und dem Oppositionsbündnis Zajedno ist in eine entscheidende Phase getreten. Nach Meldungen des staatlichen Rundfunks will Milošević die Oppositionssiege bei den Kommunalwahlen jetzt doch anerkennen. Das Parlament soll ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Zuvor hatte noch alles nach einem Patt ausgesehen. Nach dem Besuch des russischen Vizeverteidigungsministers Igor Iwanow in der vergangenen Woche hatte Milošević zunächst die Demonstranten wieder durch die Innenstadt ziehen lassen und zugleich Vorschläge für eine politische Beilegung der Krise in Aussicht gestellt. Doch statt einer Lösung sah sich die Opposition mit den Knüppeln des Regimes konfrontiert.

Die Reaktion der Opposition, zum passiven Widerstand und neuen Formen des zivilen Ungehorsam wie Strom- und Steuerboykott aufzurufen, offenbarte beschränkte Handlungsmöglichkeiten. Die wenigsten Belgrader verfügen über die Möglichkeit, Zahlungen wie Stromkosten oder Steuern überhaupt einzubehalten. Das Dilemma der Opposition liegt eher darin, daß es ihr trotz wochenlanger Proteste nicht gelungen ist, ihre gesellschaftliche Basis zu verbreitern und etwa Teile der Sozialistischen Partei oder der Arbeiterschaft auf ihre Seite zu ziehen.

„Wir befinden uns auf einer sehr gefährlichen Straße der Eskalation,“ sagt Zarko Korac, ein politischer Analytiker, der der Opposition nahesteht. „Es ist wie ein Prairiefeuer, das sich allmählich ausbreitet. Es wird sich über Wochen hinziehen. Aber klar ist, daß Milošević sich nicht beugen wird.“

Offiziell hat Zajedno bisher in fünf Städten die Macht übernommen: Uzice, Kragujevac, Zrenjanin, Lapovo und Niš. In Belgrad wollten die Sozialisten gestern das neue Stadtparlament konstituieren. Ein Gericht hatte ihnen den Wahlsieg zuerkannt. Die OSZE und die staatliche Wahlkommission hatten dagegen 64 der 110 Sitze im Stadtrat Zajedno zugesprochen. In den acht weiteren Städten, in denen Zajedno den Sieg bei den Kommunalwahlen reklamiert, steht die Konstituierung der Stadträte noch aus. In Smederevska Palanka hat die Sozialistische Partei aufgrund eines Gerichtsurteils die Stadtverwaltung übernommen. Zajedno hat hier ein Gegenparlament gebildet.

Auch wenn nach der blutigen Sonntagnacht erneut 80.000 Belgrader auf die Straße gingen, ist nicht ganz auszuschließen, daß die Bewegung an Dynamik einbüßt. Zumindest dann, wenn sie weiterhin auf der Stelle tritt. Auch ein Vergleich zu den friedlichen Revolutionen in Osteuropa verdeutlicht die relative Schwäche der serbischen Opposition. So gingen am 4. November 1989 in Ostberlin fast eine Million Menschen auf die Straße. In Prag waren es rund drei Wochen später fast ebensoviel.

Auch Hilfe aus dem europäischen Ausland oder den USA kann die Opposition nicht erwarten. Es sei denn, sie gibt sich mit guten Ratschlägen und moralischer Unterstützung zufrieden. Der Vorsitzende des EU-Ministerrates, Hans van Mierlo, gestand gestern ein, daß die EU nur begrenzten Einfluß habe und ohne die USA nichts unternehmen könne.

Es hat den Anschein, als sei die Hinhalte- und Verzögerungstaktik des Regimes nicht ohne Erfolg. Sollte Milošević aus außenpolitischen Erwägungen davor zurückschrecken, die Proteste militärisch niederzuschlagen, bliebe ihm neben der Anerkennung der Kommunalwahlergebnisse immer noch die Möglichkeit, die Wahlen im ganzen Land wiederholen zu lassen. Bei einer Zusammenlegung mit den in diesem Jahr anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen rechnen die Sozialisten sich jedenfalls reelle Chancen aus. Der Machtkampf in Belgrad ist noch lange nicht entschieden. Georg Baltissen