: „Offene“ Grenzen – ausgegrenzte Arme
■ betr.: „Der Euro rückt in weite Ferne“, taz vom 24. 1. 97
Es ist kaum zu glauben, aber selbst die taz hat Angst, daß das „Sorgenkind“ Nummer 1 unserer Regierung der Euro – mit seinen Stabilitätskriterien – es womöglich nicht schaffen könnte, seinen reichen Segen über alle Grenzen hinweg zu verstreuen – und zwar rechtzeitig zum Jahr 1999!
[...] Es ist doch nur allzu einsichtig, daß die Einführung des mythisch aufgeblähten Allheilmittels Euro nur zu einer weiteren Entdemokratisierung und weiteren Entmündigung regional gewachsener – ökonomisch auf wackligen Beinen stehender – Strukturen kommen wird. Die damit einhergehende Liberalisierung des europäischen Marktes wird einzig für die Großen und ohnehin schon Reichen von Vorteil sein. Nur sie verfügen dann über die notwendigen Mittel, noch günstiger einzukaufen (damit den Druck auf die Zulieferer zu verstärken), um dann noch billiger auf dem „Markt“ anbieten zu können. Der Monokapitalismus wird ein christlich-liberales Fest feiern in einem Europa der „offenen“ Grenzen und der ausgegrenzten Armen und mit Billigstlöhnen abgespeisten beziehungsweise ausgebeuteten ArbeitnehmerInnen. Anstelle dessen glauben wir lieber an die Lüge der „Sicherung der Arbeitsplätze“, um im globalen Wettstreit „mithalten“ zu können.
Es gibt scheinbar keine Alternativen mehr am Ausgang des 20. Jahrhunderts. Das, was uns noch retten kann, ist der Kapitalismus pur: der Junkie namens „Erde“, „Postmoderne Gesellschaft“ gibt sich den letzten „Goldenen Schuß“!
Die Einführung des Euro ist der erste Freifahrtschein in diese Richtung, und es scheint so, als ob selbst die Grünen nicht die Kraft haben, dem Euro-Mythos etwas entgegenzusetzen. Irgendwelche Sozialstandards bilden auf dieser Matrix lediglich nette Kosmetik und dienen lediglich der Vertuschung einschneidender gesellschaftlicher Einbrüche. Der Kanzler gibt wieder mal die Richtung vor, und die sogenannte Opposition kann sich natürlich „notwendigen Entwicklungen“ nicht verschließen, zähneknirschend vielleicht – aber es geht halt nicht anders –, die Euro- Lobby ist schon zu weit fortgeschritten. Auf einem nicht „ganz so radikal“ – neoliberalen Kurs versuchen alle „Realos“ nun ihr Heil zu suchen. [...] J. Kucza, Berlin
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