: Halb Ecuador ist auf der Straße, um gegen die Politik des populistischen Präsidenten Abdala Bucaram zu protestieren. Die Krise ist weit vorangeschritten - zwischen Putschgerüchten und Demonstrationen scheint Bucarams Rücktritt bevorzustehen
Vom frühen Mittwoch morgen an ging in den Städten und auf den Landstraßen Ecuadors nichts mehr. Der Generalstreik gegen die Politik des Präsidenten Abdalá Bucaram, zu dem ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Volksorganisationen und oppositionellen Parteien aufgerufen hatte, wurde weitgehend befolgt.
In der Hauptstadt Quito konzentrierten sich die Demonstrationen auf die Plätze vor dem Präsidentenpalast und dem Parlament. Weder die Tränengasgeschosse der Polizei, mit der die Polizei die DemonstrantInnen zunächst vom Parlamentsgebäude fernhalten wollte, noch ein heftiger Regenguß konnten die Menge dazu bewegen, nach Hause zu gehen.
„Abdalá und Jacobito – raus aus Quito!“ forderten sie. Dabei hatte der gescholtene Jacobo Bucaram, Abgeordneter und Bruder des ungeliebten Präsidenten, schon Schwierigkeiten, überhaupt heil aus dem Parlamentsgebäude herauszukommen. In Militärkleidung und mit Tarnbemalung verschwanden er, sein Bruder Santiago Bucaram, ebenfalls Abgeordneter, und Unterstaatssekretär Averroes Bucaram, Cousin des Präsidenten heimlich aus dem Gebäude.
Dort hatte am Nachmittag die Gerüchteküche gekocht. Das Parlament diskutierte einen Antrag der Opposition, den Präsidenten – den man in Ecuador nur noch den „Verrückten“ nennt – wegen erwiesener Unzurechnungsfähigkeit aus dem Amt zu entlassen.
Vizepräsidentin Rosalia Ardeata gab prompt ihrer Bereitschaft Ausdruck, den Präsidenten sofort zu ersetzen, so wie es in der Verfassung für diesen Fall vorgesehen ist. Sie beschuldigte den Parlamentspräsidenten Fabián Alarcón, einen Staatsstreich vorzubereiten, weil er selbst Aspirationen auf die Nachfolge Bucarams habe.
„Im Namen der Demokratie“ forderte auch der Generalsekretär der Bucaram-Partei PRE, Oscar Celleri, die Absetzung und Festnahme Alarcóns. Der Parlamentspräsident hatte ein Kommando von 60 Soldaten und 20 Angehörigen einer Spezialeinheit in das Nationalparlament geholt, um in den Fraktionsräumen der „Roldosistischen Partei“ des Präsidenten Bucaram und der Sozialchristlichen Partei nach Waffen zu suchen.
Am Nachmittag sah sich das Armee-Hauptquartier genötigt, „angesichts der Welle von Gerüchten der letzten Stunden“ eine offizielle Erklärung abzugeben. Darin bestreiten die Streitkräfte, den Befehl zur Verhaftung Fabián Alarcóns oder irgendeines anderen ecuadorianischen Politikers erhalten zu haben. Der Streik, so heißt es weiter, verlaufe im übrigen in allen Landesteilen friedlich.
Der Präsident steht allein, seine Gegner sind vereint
Tatsächlich hatte es am Mittwoch, dem ersten Tag des Generalstreikes, rund fünfzehn Verletzte gegeben, die meisten waren bei den Auseinandersetzungen vor dem Parlamentsgebäude von Tränengaspatronen der Polizei getroffen worden. Angesichts der Größe der Demonstrationen ist das ein friedliches Szenario. Nach Berichten aus den Städten Quito, Cuenca und Guayaquil waren dort sogar deutlich mehr Menschen auf den Straßen als bei den patriotischen Manifestationen gegen Peru während des Grenzstreites 1995.
Bucaram blieb sich in den Tagen vor dem Streik treu: Als guter Populist begrüßte er die „Bürgerbewegung“, die mit ihrem Streik einen Wechsel im Land hervorbringen wolle, den er selbst ja auch beabsichtige. Mit allen gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam wolle er einen sofortigen wirtschaftlichen Aktionsplan ausarbeiten, um den gerechtfertigten Forderungen Rechnung tragen zu können. Außerdem kündigte er eine Regierungsumbildung an. Die Bürger aber forderten gestern und vorgestern nichts anderes als seine Absetzung.
In der Küstenstadt Guayaquil beteiligten sich die Vorsitzenden aller vier Industriekammern an einer Demonstration gegen die Korruption in den Reihen der Regierung. An den Protesten in der Hauptstadt beteiligten sich praktisch alle unterlegenen Präsidentschaftskandidaten der letzten Wahlen. So dürfte der vorübergehende Konsens, der die Streikbewegung für die Absetzung Bucarams derzeit eint, ein baldiges Ende finden, wenn der Präsident dem Druck tatsächlich weichen sollte.
Sprecher des Gewerkschaftverbandes FUT (Arbeitereinheitsfront) etwa äußerten schon in den Tagen vor dem Streik ihre Unlust, irgendwelche „Konzessionen an jene zu machen, die für die aktuelle Situation des Landes genauso verantwortlich sind und lediglich Bucaram durch einen der ihren ersetzen wollen.“ Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen