■ Vorschlag
: Bestes aus einigen Welten: Korn mit Speed-Metal und mehr im SO 36

Verwirrung ist oft der einfachste Weg, Aufmerksamkeit zu erregen. Und Korn haben wahrlich Verwirrung gestiftet. Sänger Jonathan Davis hat auf dem linken Oberarm „HIV“ eintätowiert, fühlte sich aber erst in letzter Zeit bemüßigt zu erklären, daß dies bereits in der Schulzeit sein Spitzname war. Die Debütplatte wurde beschlossen von einer Haßtirade über „Daddy“, die zu Spekulationen führte, Davis sei in seiner Kindheit mißbraucht worden. Auf „Kill You“ läßt er an seiner Stiefmutter kein gutes Haar. Inzwischen ist er selbst Vater. Nach der Schulzeit arbeitete Davis als Assistent in der Autopsie, was Zitate wie „Es ist cool, Leichen aufzuschneiden“ zur Folge hatte. Sex und Tod, wenn das keine verkäufliche Kombination ist.

Währenddessen wurden Musikerkollegen nicht müde, Korn lobend zu erwähnen, bevor die überhaupt ihre erste Platte veröffentlicht hatten. Metal und Hardcore mögen zum kreativen Stillstand gekommen sein, trotzdem gehen einzelne Bands dann doch über den Status quo hinaus. Wie eben das Quintett aus dem kalifornischen Huntington Beach, dessen Rhythmussektion in bisher ungehörten Abgründen dahergrummelt. Mit ein paar einfachen Tricks, ein paar ungewöhnlich aufgestellten Mikrophonen produzieren Korn tiefste Wände aus Baß und Schlagzeug. Wenn der Mixer einen guten Tag hat, verbinden sich bei Korn die strukturelle Klarheit von Punk und die inhaltliche Kompromißlosigkeit von Hardcore mit Versatzstücken aus Thrash- und Speed-Metal, aber auch Industrialrock wie von Nine Inch Nails – das Beste aus einigen Welten. Die musikalischen Einflüsse überlagern sich ebenso wie die textlichen Bedeutungsebenen: Die Liebe der Band zu adidas-Klamotten war so unübersehbar, daß sie inzwischen umsonst vom fränkischen Sportartikelhersteller eingekleidet werden. Auf der aktuellen Platte mit dem offensichtlich ironischen Titel „Life Is Peachy“ findet sich dann der Song „A.D.I.D.A.S.“, was aber für „All day I dream about sex“ steht. Thomas Winkler

Heute, 21 Uhr, im SO36, Oranienstraße 190, Kreuzberg