piwik no script img

Um die Ecke wartet die Op-art und grinst

Plastikgeschirr, Korbstuhl, Lampenschirm: Die englischen Fotografen Christopher Muller und Richard Caldicott widmen sich einfachen Dingen des Lebens. Jetzt werden ihre verspielten Arbeiten im Bonner Kunstmuseum gezeigt  ■ Von Martin Pesch

In der Kunstwelt ist man sich unschlüssig, was aktuelle Strategien betrifft: Die KünstlerInnen, die sich mit Neuen Medien beschäftigen, entziehen sich den konventionellen Wegen zwischen Atelier und dem Platz über dem Sofa und verflüchtigen sich in Netze. Um diesen Verflechtungen nachzuspüren, fehlt es den Galerien und Institutionen an Übersicht und auch an Know-how. Andererseits hat man gerade dort bei einer Kunst, die ins pralle Leben greift, wie es die jungen britischen KünstlerInnen derzeit durchexerzieren, die Befürchtung, man säße einem fremdgesteuerten und mit schwer zu decodierendem popkulturellen Ballast versehenem Hype auf.

Vor einem solchen Berg von Problemen ist es verständlich, wenn man sich den einfachen Dingen widmet. Wenn die Welt zur CD-ROM wird und die Körper im Internet verschwinden, kann die Abbildung einer Kaffeetasse Trost spenden. Dieser Rückzug aufs echte Objekt paßt zur allgemeinen kulturellen Entwicklung. Denn im Interesse, das die Modefotografie – von der Vogue über das britische i-D-Magazin bis zum New Yorker artform – derzeit bekommt, steckt auch eine Sehnsucht nach dem Figürlichen, nach Körper, nach Gegenständen und Dingen. Das Bonner Kunstmuseum nennt seine Ausstellung mit Fotos von Christopher Muller und Richard Caldicott gar „Vom Dasein der Dinge“.

Der 1966 geborene und zwischen Düsseldorf (wo er auch studiert hat) und London pendelnde Christopher Muller täuscht mit der Einfachheit, in der er die einfachsten Dinge zeigt, über die Mühe hinweg, die er sich macht. Bevor er auf den Auslöser seiner Kamera drückt, erprobt er in unendlich vielen Zeichnungen die wechselseitige Wirkung von Farben und Proportionen der Gegenstände, die sich im Laufe der Jahre in seinem Lager angesammelt haben. Daß er nicht wahllos stetig neue Fundstücke nebeneinanderreiht, zeigen die immer wieder in anderen Konstellationen gestellten gleichen Dinge. Und auch die über ihn kursierende Anekdote, er hätte nach dem Verlust eines Hammers und eines Zollstocks diese Werkzeuge penibel aus Gips, Holz und Farbe nachgebaut, um sie für seine Dinginszenierungen zu verwenden.

Zwei Merkmale treten bei ihm stilbildend hervor. Muller reiht Schemel, Eimer, Zahnpastatube und Weinflasche in einer Reihe frontal zur Kamera. So ebnet er die Unterschiede zwischen den Dingen ein. Was manche schon zu der Formulierung „Demokratie unter den Dingen“ hingerissen hat. Zum anderem sind seine Fotos im Maßstab 1:1, so daß einem die dargestellte Wirklichkeit auch sehr wirklich gegenübertritt. Die fotografische Distanz wird derart tendenziell wieder aufgehoben.

Die Dinge auf einigen jüngeren Fotos haben es allerdings nicht mehr so bequem. Die „Pause des Daseins“ (eine schöne Charakterisierung des Bonner Kurators Stefan Gronert) wird kürzer. Die Bildhintergründe verlieren ihre Neutralität und rücken den Gegenständen wieder mit ihrem alltäglichen Gebrauch zu Leibe. Das Foto „Wild Strawberries“ (1996) zeigt eine fast normale Küchenszene mit Spüle und Heizplatte. Und den Resten verzehrter Erdbeeren.

Von solcher Alltäglichkeit ist bei Richard Caldicott, Jahrgang 1962, nichts zu spüren. Er feiert Siphon, Thermosflasche und Plastikteller mit Witz oder mit Prätention. Manchmal läßt er eine Plastikflasche vor den ähnlich gefärbten Hintergründen fast verschwinden, so daß ein gelber Schraubverschluß um so farbiger hervorsticht. Manchmal stellt er eine Flasche auf einen mit unterschiedlich farbigen Pappen ausgelegten Untergrund. Das Streifenmuster, das sich so ergibt, wäre ohne den konkreten Gegenstand ein schönes Beispiel geschmackvoll minimalen Designs. An diesen visuellen Feinheiten spürt man Caldicotts kunstgeschichtliche Vorlieben. Seine ineinandergestellten und senkrecht von oben fotografierten Plastikteller sehen aus wie Zielscheiben. Und bei den aus derselben Perspektive aufgenommenen Backformen weiß man nicht, ob man sich für die Assoziation von Alge, Blüte oder Vagina entscheiden soll. Um die Ecke wartet schon die gute alte Op-art und grinst.

Vom Aufstand der Dinge künden die kunstvoll übereinandergestellten Teller, Tassen und Schüsseln. Als sei hier ein Moment gebannt, in dem sich die Plastikteile die Langeweile im Küchenschrank durch akrobatische Kapriolen vertreiben. Sie können sich in ihrer ausbalancierten Eleganz recht selbstbewußt zeigen. Denn auch wenn die durchkonstruierten Figuren zusammenkrachen, kaputt gehen die Einzelteile nicht so schnell. Als wollte sie das unterstreichen, sitzt obenauf keck die Zitronenpresse.

Bis 9.3. im Kunstmuseum Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen