: Alternativbetrieb Goldmine
Viele haben am Rio Tinto verdient. Jetzt, da das Gold zur Neige geht, gehören die südspanischen Minen erstmals den 560 Arbeitern und Angestellten ■ Von Reiner Wandler
Der klobige Schmelztiegel kippt langsam ab. Das flüssige Metall aus seinem Innern entleert sich gleichmäßig in eine ausgemauerte Stahlrinne. Mitten im Funkenregen steht Pepe Valdés. Die Gasmaske schützt ihn vor den ätzenden Dämpfen. Mit einer langen Eisenstange stochert er abwechselnd in den sechs treppenförmig aufgereihten Gußformen herum, bis sie randvoll sind. Einen Moment lang zeichnet sich der glühende Tiegelboden wie eine große gelbe Sonne in den dichten Rauchschwaden ab, dann senkt sich der Metallzylinder wieder mit einem lauten Knarren. Pepe Valdés hängt den Eisenstab an die Wand, zieht die Handschuhe aus und geht hinüber in den kleinen Frühstücksraum. Erschöpft nimmt er Gasmaske und Helm ab. Schweiß rinnt über sein rußverschmiertes Gesicht. Auch hier macht der beißende Geruch das Atmen schier unmöglich. „Gewohnheit“, meint Pepe beiläufig.
Eine Stunde Pause, bis die Barren abgekühlt sind und paarweise in Holzkisten verpackt in einem mit dicken Gittern und schwerer Stahltür gesichertem Raum gelagert werden. Vorkehrungen, die ebenso wie Gegensprechanlage, Kamera und Metalldetektor am Eingang der Halle verraten: Was in den Minen von Rio Tinto aus dem Tiegel läuft, ist nicht irgendein Metall. Es handelt sich um eine kostbare Legierung – reich an Silber und Gold. „Jeder Barren ist 20.000 Franken wert. Mit einem Abguß bezahlen wir den Tageslohn der gesamten Belegschaft“, erklärt Pepe Valdés zufrieden lächelnd: „Ja: wir. Seit August 1995 gehört das Bergwerk uns. Ein Traum.“
Pepe Valdés kommt aus dem kleinen Bergarbeiterdorf gleich neben dem Werksgelände, dem die Minen von Rio Tinto ihren Namen gegeben haben. „Mein Großvater, mein Vater, meine Onkel, alle haben hier gearbeitet – wie bei den meisten Familien am Ort“, sagt Pepe, der mittlerweile selbst auf 16 Jahre Betriebszugehörigkeit zurückblickt. Daß sich daran einmal etwas ändern würde, nein, das konnte und wollte keiner glauben – bis Anfang der neunziger Jahre. Ein Schock: Gold und Silber wurden zusehends knapper, die Aktionäre begannen, laut über eine Schließung nachzudenken. Als in letzter Minute die US-amerikanische Gesellschaft Free Port McMoran den Betrieb aufkaufte, schien das die Rettung. In vielen Haushalten knallten die Sektkorken. Auch bei Pepe zu Hause.
„Wir hatten uns zu früh gefreut“, erinnert sich der Gießer. Die neuen Besitzer hatten nur Interesse an der werkseigenen Kupferhütte, unten in der Provinzhauptstadt Huelva. Das Bergwerk stand weiterhin auf der Schließungsliste. „Übernahme durch die Belegschaft“, lautete fortan die Forderung der Gewerkschaften. Im August 1995 war es dann soweit. Die 670.000 Aktien gingen für den symbolischen Preis von einer Peseta pro Stück an die 560 Arbeiter und Angestellten über. Aus der Sociedad Anónima (Aktiengesellschaft) wurde eine SAL – Sociedad Anónima Laboral (Arbeiteraktiengesellschaft). Der Betriebsrat, der seither in Personalunion als Aufsichtsrat fungiert, feierte das Ereignis mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen. Über dem Foto eines leeren Konferenztisches stand zu lesen: „Unsere Aufsichtsräte arbeiten in der Mine.“ Und darunter der Leitspruch der neuen Ära: „Minas de Rio Tinto SAL – endlich sind wir die Herren unserer Arbeit.“
„Wir arbeiten mehr und besser als früher. Schließlich hat jetzt jeder mit sich selbst den Arbeitsvertrag“, beschreibt ein Kollege und Nachbar von Pepe Valdés, der Funker Miguel Novo, die Moral nach der Übernahme. Der kleine grauhaarige Mann überwacht vom Lookout, einem weißen Flachbau auf einem Hügel, die Arbeiten in der mehrere Quadratkilometer große Kraterlandschaft, die in allen Farbtönen – von Rot über Ocker bis Grau – in der Mittagshitze flimmert. „371 an 124“ – „135 braucht einen Lkw“ – „Hier 365, bin schon unterwegs“ ... Vier Mikrophone, zwei Telefone, das Gequäke aus den Lautsprechern reißt nicht ab. Miguel Novo antwortet unermüdlich, während er gleichzeitig durch ein Fernglas seinen Blick schweifen läßt. Bohrtürme treiben Tag und Nacht Sprenglöcher in den Boden. Bagger verladen das Gestein auf überdimensionale Lkws. Auf jeder Reise befördern sie 150 Tonnen. Terrasse für Terrasse graben sich die Maschinen in den Boden. An der tiefsten Stelle sind sie bei 140 Metern angelangt.
„Seit wir die Kupferproduktion wiederaufgenommen haben, hat die Aktivität merklich zugenommen“, berichtet Miguel Novo, der vor wenigen Wochen seinen 53. Geburtstag feierte. Nach dem Sommer wird er den Vorruhestand antreten. Er geht gerne. „Seit zwei Monaten arbeitet mein ältester Sohn im Bergwerk – eine von 120 Neueinstellungen nach der Übernahme durch die Belegschaft“, sagt der Funker, bevor er den nächsten Lkw abfertigt, der nach oben zu den Mühlen fährt, wo das Gestein zu feinem Staub zertrümmert wird. Anschließend wird es in riesigen runden Becken mit Säure angereichert, um ihm so das Metall zu entreißen. Ein langwieriger Prozeß. Eine Tonne der rötlichen Erde enthält nur zwei Gramm Gold und 36 Gramm Silber. Beim gräulichen Kupfererz sieht es mit fünf Kilogramm etwas besser aus.
Alles wird von verglasten Kontrollständen hoch oben über den Maschinen gesteuert und überwacht. In einer der gondelförmigen Räume sitzt Manolo Santo, Betriebsrat der stärksten Gewerkschaft in der Mine, der kommunistischen CCOO – „und seit letztem August Aufsichtsrat“, fügt er stolz hinzu. Die Halle zu seinen Füßen ist von einer dünnen metallisch- grau glänzenden Schicht überzogen. Hier, am Ende des Produktionsprozesses, wird der Lösung Kalk zugesetzt, damit das Mineral ausflockt. Die dickflüssige Brühe schlägt in großen Überlaufbecken Blasen. Der Schlamm, der obenauf schwimmt, schwappt in Ablaufrinnen, von wo er in Trockenbehälter fließt. „Unsere Zukunft, das Kupfer“, sagt Manolo und zeigt auf die graue Masse, die weiter hinten vom Förderband fällt.
„Oft müssen wir im Aufsichtsrat Maßnahmen beschließen, die bei der Belegschaft auf keinerlei Gegenliebe stoßen“, beschreibt Manolo seine neue Doppelrolle. 19 Tage unentgeltliche Mehrarbeit pro Jahr und ein Lohnstopp sind nur zwei Beispiele. „Wir sitzen alle in einem Boot und müssen den Gürtel enger schnallen. Was wie ein dummer Unternehmerspruch klingt, trifft hier zu, denn nur so kann die Mine überleben“, verteidigt der kommunistische Gewerkschafter solch unpopuläres Handeln. Schließt der Betrieb, wäre dies das Ende für den Landkreis, in dem schon heute jeder zweite arbeitslos ist. „Eine gut funktionierende Mine in Selbstverwaltung könnte hingegen zum Motor einer wirtschaftlichen Entwicklung der Region werden.“
Um dies zu erreichen, hat der Arbeiteraufsichtsrat einen Bergbauspezialisten als Generaldirektor eingestellt. Carlos Estébez wickelte früher im Auftrag der sozialistischen Regierung von Felipe González den krisengeschüttelten staatlichen Bergbau ab, jetzt soll sein Know-how Rio Tinto retten. Das Schild neben der Bürotür ist das einzige, was auf das Amt von Carlos Estébez hinweist. Sein Büro ist klein und mit abgenutzten Siebziger-Jahre-Möbeln ausgestattet. Die klappernde Klimaanlage hält zwar die schwüle Sommerhitze ab. Gegen den beißenden Säuregeruch, der über dem Gelände liegt, hilft sie nicht.
Sein ehrgeizigster Plan: Die Erschließung neuer Abbaustellen, um nicht nur von einem Metall abhängig zu sein. Das Gestein, das Estébez nutzen will, enthält Mineralkomplexe aus Blei, Zink, Kupfer und auch Gold und Silber. „Um sie aufzuspalten, müssen wir auf ein völlig neues Verfahren umsteigen“ lautet das Projekt der Geschäftsführung. Der physiochemische Prozeß, der bisher nur im Labor funktioniert, hat einen Nachteil: Es fallen große Mengen Sondermüll an. Deshalb wird eine stillgelegte Abbaustelle im Nachbarort Nerva zur firmeneigenen Sondermülldeponie umgebaut – eine Entscheidung, die die Bevölkerung des kleinen Ortes spaltet. Seit neun Monaten gehen jeden abend 200 Menschen gegen die „Vergiftung des Landkreises“ auf die Straße – eine kleine, wenn auch lautstarke Minderheit. Der Rest sieht kopfschüttelnd zu. Für sie ist eine Zukunft nur mit der Mine vorstellbar, Deponie inbegriffen.
„Das ist unsere einzige Chance. In spätestens zwei Jahren ist Schluß mit dem Gold. Dann bliebe uns nur noch das Kupfer. Da könnte der Traum von der Selbstverwaltung schnell zum Alptraum werden“, rechtfertigt Estébez die Pläne. Tatsächlich ist das rote Metall ein unsicheres Geschäft. Es wird an der Börse gehandelt und ist somit starken Preisschwankungen unterworfen.
Mitte Juni war es wieder einmal soweit. Der Preis pro Tonne Kupfer sank auf unter 2.000 Dollar. Vor einem Jahr waren es noch 3.100 Dollar. Bei Produktionskosten von 2.600 Dollar pro Tonne lag Rio Tinto gut in der Gewinnzone. Jetzt fährt die Mine erstmals in ihrer kurzen selbstverwalteten Geschichte Verluste ein.
„Auch wenn sich die Preise sicher wieder erholen, um eine deutliche Kostensenkung kommen wir nicht herum“, erklärt Estébez. Lohnstopp und unbezahlte Mehrarbeit sind nur ein Teil. Investitionen in Höhe von 30 Millionen Mark sollen den Energie- und Lohnkostenanteil pro Tonne deutlich senken. „Wenn sich die Belegschaft voll darüber im klaren wäre, auf was wir uns eingelassen haben“, sagt der Estbez, „würden die meisten schon längst nicht mehr ruhig schlafen.“
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