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Wie bei Stan und Ollie

■ Filme aus China, Hongkong und Taiwan: In den letzten Jahren wurden vor allem Kostümspektakel eingeladen, diesmal könnte es spielerisch zur Sache gehen

Leicht verschämte Gesichter gab es während der Bären-Bekanntgabe 1988. Ausnahmsweise hatte die Jury ins Schwarze getroffen, nur war die Kritik in Erwartung des üblichen chinesischen Agitpropstreifens nicht im Kino gewesen. Blauuniformierte Helden und Heldinnen mit rotkolorierten Wangen in Großaufnahme hatten bis dato das Bild des Films aus der Volksrepublik geprägt.

Zhang Yimous mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetes Regiedebüt „Das rote Kornfeld“ markierte einen Wendepunkt in der Filmgeschichte Chinas. Schlagartig machte der Berlinalesieg die fünfte Generation chinesischer Filmemacher bekannt, leitete einen wahren Triumphzug von Regisseuren aus Taiwan, Hongkong und der Volksrepublik auf internationalen Festivals ein.

1993 setzte die Jury der Berlinale erneut ein Zeichen, als sie den Goldenen Bären an zwei Filme vergab: an „Das Hochzeitsbankett“ des Taiwanesen Ang Lee und Xian Hunnüs chinesischer Produktion „Der See der badenden Frauen“. Tatsächlich funktionierte in diesen Jahren zumindest der filmische Austausch zwischen den Ländern. Gelder aus Taiwan und Hongkong sicherten die Existenz einiger chinesischer Studios, die Co-Produktionen ermöglichten auch den Auslandsvertrieb.

Während die Filme auf Festivals Erfolge feierten, wurde den Regisseuren von der chinesischen Filmbehörde nicht selten die Ausreise verweigert. Mittlerweile kämpft der sogenannte Frühling des chinesischen Films gegen eine noch rigidere Zensur, die bald auch die Produktion aus Hongkong in Schach halten wird. Zusätzlich leiden China, Hongkong und Taiwan an schwindenden Zuschauerzahlen. Skeptisch sehen die Regisseure in die Zukunft.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, ob der Wettbewerb der Berlinale auf die neue Situation reagiert. Ob Moritz de Hadeln wie in den letzten zwei Jahren wieder belanglose Kostümspektakel und turbulente Familienkomödien auffährt oder wie 88 und 83 den asiatischen Nerv der Zeit trifft. Die Namen der Regisseure klingen jedenfalls nach einer Art Versuch.

Zum Beispiel Huang Jianxin vom Xi'an Filmstudio, dem kreativen Zentrum der Fünften Generation chinesischer Filmemacher. Während Chen Kaige und Zhang Yimou in ihren Filmen die Erfahrung der Kulturrevolution bzw. die damit verbundenen Arbeitsaufenthalte auf dem Land verarbeiteten, warf Jianxin als einer der ersten den Blick auf die chinesische Gegenwart. In „Aufrechter Gang“ nahm er 1992 den Alltag in den wohlhabenden Wohnblöcken unter die Lupe. Wie durchs Schlüsselloch beobachtet die Kamera in diesem mosaikartig aufgebauten Film das Privatleben der Bewohner, ihre Streitigkeiten, ihren Herzschmerz, ihre heimlichen Geschäfte. „Mai Fu“ – „Überwachung“, Jianxins Wettbewerbsbeitrag, in Co-Regie mit seinem früheren Assistenten Yang Yazhou entstanden, variiert das Thema eines Laurel & Hardy Klassikers, in dem Soldat Stan das Ende des Ersten Weltkrieges nicht mitbekommt. Unerschütterlich hält er jahrelang weiter die Stellung im Schützengraben.

Trotz Verwilderung und zotteligem Bartwuchs: Befehl ist Befehl. „Mai Fu“ führt den Kadavergehorsam ebenfalls ad absurdum. Hier sind es zwei Büroangestellte, die von der Behörde angewiesen werden, von einem Wasserturm aus die umliegenden Gebäude zu überwachen. Auch hier vergißt man, die beiden vom Ende des Auftrages zu unterrichten.

Tsai Ming-liang wiederum ließ seine jugendlichen Helden vor einigen Jahren auf ihren frisierten Motorrädern wütend im Kreise fahren, verzweifelt auf der Suche nach einem Halt, fanden sie immer nur sich selbst. Die Orientierungslosigkeit der jungen Generation in Taipeh war Thema seines Regiedebüts „Rebels of the Neon God“, mit dem der taiwanesische Filmemacher 1993 im Panorama einen regelrechten Senkrechtstart erlebte.

Ein Jahr später sahnte er dann mit „Vive l'amour“ in Venedig bereits den Goldenen Löwen ab. Die quälend langen Einstellungen trieben das Publikum zwar teilweise aus den Sesseln, brachten aber das dumpfe Lebensgefühl taiwanesischer Großstadtjuppies ziemlich genau auf den Punkt. „He Liu – „Der Fluß“, seinen diesjährigen Wettbewerbsbeitrag, sieht Tsai Ming-liang als thematische Fortsetzung seiner vorherigen Filme. Bereits im Vorfeld hat er mit einer neuen, noch konsequenteren Form gedroht.

Was die Hongkong-Filme im Berlinale-Wettbewerb betrifft, so scheinen sie sich, zumindest nach den vorliegenden Informationen, nicht mit dem Countdown-Gefühl der Kronkolonie zu beschäftigen.

Yim Ho gehört zu den wenigen Hongkong-Regisseuren, die bereits im chinesischen Hauptland drehten und ihren Filmen dessen Geschichte reflektierten. Während „Tai Yang You Er“ – „Die Sonne kann hören“, der letztes Jahr im Wettbewerb lief, zu besagten belanglosen Kostümdramen gehört, behandelte er mit „Gungun Hoingchen“ – „Roter Staub“ (1990) und „Tianguo Niezi“ – „The day the sun turned cold“ (1994) prekäre Themen wie den chinesisch- japanischen Krieg und einen realen Mordfall in der chinesischen Provinz. Mit „Küche“ schickt er dieses Jahr die Adaption eines Bestselles der japanischen Autorin Banana Yoshimoto ins Rennen, wobei die Handlung nach Hongkong verlegt wird.

Wirklich Spaß verspricht der zweite Hongkong-Beitrag in der Konkurrenz. Derek Yee nimmt in „Seqing Nannu“ – „Viva Erotica“ die gut florierende Softpornoszene der Megametropole auf die Schippe. Leslie Cheung, zarter Superstar („Lebewohl, meine Konkubine“) als Regisseur in finanziellen Nöten, der mit Mafiageldern sein Sexfilmdebüt produziert. Zumindest indirekt wird „Viva Erotica“ wohl vom Untergang einer frivolen filmischen Epoche erzählen. Schwer vorstellbar, daß das chinesische Filmbüro demnächst eine Unterabteilung Porno einrichten wird. Anke Leweke

„Mai Fu“ (Überwachung). 1996. 105 Minuten. Regie: Huang Jianxin. Mit: Feng Gong, Jiang Shan u.a. 20.2., 17.45 Uhr, Zoopalast

„He Liu“ (Der Fluß). 1997. 115 Minuten. Regie: Tsai Min-liang. Mit: Lee Kang-sheng, Miao Tien u.a. 18.2., 20 Uhr, Zoopalast

„Wo al Chufang“ (Küche). 1996. 124 Minuten. Regie: Yim Ho. Mit: Jordan Chan, Yasuko Tomita u.a. 21.2., 17.30 Uhr, Zoopalast

„Seqing Nannu“ (Viva Erotica). 1996. 97 Minuten. Regie: Derek Yee. Mit: Leslie Cheung, Karen Mok u.a. 14.2., 17.30 Uhr, Zoopalast

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