piwik no script img

Jenseits der Sprechblasen

■ Der Dokumentarfilm Balagan läuft von Sonntag an im 3001

Balagan ist ein aufwühlender und empörender, ein radikaler und spannender, ein distanzierter und emotionaler Film. Oberflächlich betrachtet, ist Andres Veils Dokumentarfilm nichts weiter als ein Porträt dreier israelischer Schauspieler. Die Kamera beobachtet sie während der Aufführung des Stücks Arbeit macht frei, begleitet sie auf die Proben und läßt sie unkommentiert von sich erzählen. Aber weder ist Arbeit macht frei ein normales Stück noch das Theaterzentrum Ak-ko, dem die Schauspieler angehören, eine normale Theatergruppe, noch ist die Situation in Israel so, daß eine genaue und gerechte Beobachtung der dortigen Zustände einen oberflächlichen Film zuließe.

Da gibt es etwa Madi Maayan. Sie ist Schauspielerin, Jüdin, eine der Porträtierten; sie sagt, der Holocaust sei in Israel zur Religion geworden, zum Opium für das Volk, sie dagegen, 1956 geboren, sei immer „anti“ gewesen. In einer Szene des Films lauscht sie verzückt dem Horst-Wessel-Lied. Es sei eins ihrer Lieblingslieder, sagt sie. Dann demonstriert sie am Klavier, daß es von der musikalischen Struktur her Ähnlichkeit mit jiddischen Volksstücken hat. Oder man lernt Khaleb Abu Ali kennen, einen weiteren Schauspieler von Akko. Er ist palästinensischer Israeli. Vor vier Jahren noch, sagt er, habe er den Holocaust für eine jüdische Erfindung gehalten. In einer Szene des Stücks Arbeit macht frei tanzt er nackt auf einem KZ-Foltertisch. Dann sieht man ihn seine Familie im besetzten Gebiet besuchen. Daß er mit Juden zusammenarbeitet, muß er dort geheimhalten.

So hält der Film den Finger auf die Wunden und unauflöslichen Widersprüche, die sich im Staate Israel (und unseren Einstellungen ihm gegenüber) kristallisieren. Den Zuschauer hinterläßt er in reichlicher Verwirrung („Balagan“ ist das hebräische Wort für Chaos) – man kann nicht unterscheiden, was gespielt, was Provokation, was „echt“ ist –, aber in der Gewißheit, einen Einblick in den Bereich jenseits der Floskeln und Sprechblasen erhalten zu haben. drk

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen