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Exotisches aus Altona

■ Sophie Wörishöffer: Eine Abenteuerschriftstellerin im Kaiserreich

Regelmäßig lagen in den Jahren nach 1880 in Deutschlands Bürgerhäusern lehrreiche und spannende Bücher für die Knaben unter dem Weihnachtsbaum: garniert mit schönen Illustrationen, lasen sich zehntausende Jungen mehrere hundert Seiten lang in die exotischen Welten Asiens, Afrikas oder Amerikas hinein, begleiteten Robert, den Schiffsjungen in die Südsee oder zwei Leichtmatrosen Kreuz und Quer durch Indien. Der Verfasser dieser Seller hieß schlicht: S. Wörishöffer.

Das kaiserliche Deutschland trat gerade erst in den Wettlauf um die Kolonien ein, weswegen fremdländische Geschichten im national gesinnten Hause guten Absatz finden mußten. Deutsche Weltgeltung zur See, dazu Exotik und Abenteuer: ein Erfolgsrezept. Folglich bot der Verlag Velhagen & Klasing S. Wörishöffer einen festen Vertrag an: für 2.000 Mark war nun jährlich ein umfangreiches Knabenbuch zu liefern, der Stoff „geschichtlich-patriotisch, geographisch-naturwissenschaftlich. Volle Garantie für sittliche Unanstößigkeit und pädagogische Korrektheit“ sicherte man den Käufern im Katalog zu.

Dem Umstand, daß S. Wörishöffer nie in die weite Welt hinauskam, konnte man mit Kisten voller Expeditionsberichten, Fachbüchern und durch Brehms Tierleben abhelfen. Doch hatte die Sache einen anderen Haken: das „S.“ im Verfassernamen stand für Sophie – aber lehrreiche Geschichten für die „reifere Knabenwelt“aus der Feder einer Frau? Velhagen & Klasing schien das unvorstell-bar, und so mußte das Geschlecht der S. Wörishöffer strikt geheim bleiben.

Begonnen hatte diese eigenwillige literarische Erfolgsgeschichte der 1838 in Pinneberg geborenen Schriftstellerin erst Anfang 1870. Nach dem Tod ihres Mannes mußte sie selber für ihren Lebensunterhalt aufkommen und begann zu schreiben. Die Hamburger Reform druckte erste Novellen, unter Pseudonymen belieferte sie auch Provinzblätter. Der wirtschaftliche Druck wuchs mit der unehelichen Geburt ihres Sohnes Hugo 1871. Ab 1874 erschienen erste Bücher Aus den Erfahrungen einer Hausfrau.

Und so hätte es ewig weitergehen können – Hugo zur Schule ziehen lassen und dann in ihrer winzigen Hinterhauswoh-nung in Altona hineintauchen in die triviale Welt aus bürgerlicher Ordnung und Liebesschmerz. Irgendwann bot sie dann Velhagen & Klasing ein Manuskript an. Es paßte zwar nicht ins Programm des Verlages, doch zwischen den Zeilen entdeckte man das ungestüme Fabuliertalent, die grenzenlose Phantasie der Autorin und bat sie um Überarbeitung eines Jugendbuches. Und Robert des Schiffsjungen Abenteuer und Fahrten wurde ein Renner.

1890 starb Sophie Wörishöffer – vier Jahre später kaufte der Verlag ihrem Sohn für 5.000 Mark pauschal alle weiteren Rechte ab. Bis in die 1940er Jahre wurden Titel wie Durch Urwald und Wüstensand, Gerettet aus Sibirien und besonders Das Naturforscherschiff immer wieder aufgelegt. Nach Karl May waren ihre Werke die meistgelesensten Jugendbücher Deutschlands.

Weder das Leben noch die Person Sophie Wörishöffers entsprachen den damaligen Erwartungen an eine Schriftstellerin. Und diese Rollenverweigerung ließ sie auch in den Knabengeschichten aufscheinen – aber daß dort die jugendlichen Helden sich oft von den Maximen ihrer Väter absetzten, und lieber in die weite Welt ziehen und Abenteuer erleben wollten, das ist sowohl dem Verlag als auch den Eltern der lesenden Knaben entgangen. Ob wenigstens diese es bemerkt haben?

Kay Dohnke

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