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Doppelter Mißbrauch

■ Psychiater soll Patientin zum Sexualverkehr gezwungen haben

Auf dem Weg zum Gerichtssaal hält er sich einen Briefumschlag vors Gesicht, dann nimmt Manfred N. – Facharzt für Psychiatrie und Neurologie – neben der Renommieranwältin Leonore Gottschalk-Solger Platz. Dem Arzt ist die Nervosität sichtlich anzumerken. Denn die Anklage ist schwerwiegend: Er soll eine Patientin mehrfach sexuell mißbraucht haben. Manfred N. bestreitet nachdrücklich.

Und das hat sich laut Anklage abgespielt: Im Herbst 1993 befindet sich die alkohol- und psychisch kranke Kerstin Martell* bei dem Rahlstedter Psychiater in Behandlung. Sie ist labil, bekommt zur Beruhigung Psychopharmaka. Bei einem Hausbesuch nutzt Manfred N. diese „Widerstandsunfähigkeit“ rücksichtslos aus. Er begrabscht die 35jährige, entkleidet sie und sich und zwingt sie zum Sexualverkehr. „Ohne Kondom“, wie die Staatsanwältin zudem feststellt.

Auch als Kerstin Martell den Facharzt in seiner Praxis aufsucht, vergeht sich der 53jährige Mediziner an der psychisch labilen Patientin: Zuerst gibt er der Alkoholkranken reichlich Wein zu trinken, und als die geringe Widerstandskraft gebrochen ist, schläft er mit ihr auf dem Praxisbett. Es kommt noch einmal in der Wohnung der Patientin zu einer „Vergewaltigung“. Als er bei einem erneuten Hausbesuch wieder über Kerstin Martell herfallen will, wird er von Freunden der Frau überwältigt.

Unter den Zuhörern herrscht Entsetzen, als die Anklage verlesen wird. „Daß ein Arzt so etwas tut.“ Der nicht mehr praktizierende Psychiater wollte gestern nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit Stellung nehmen, ein Ansinnen, dem das Gericht – wie auch bei der Aussage des Opfers – stattgab. Selbst Kerstin Martells Betreuerin vom „Notruf für vergewaltigte Frauen“ durfte die Schilderungen Manfred N. nicht verfolgen.

Wilhelm Funke, der Martell als Nebenklägerin vertritt, wies in einer Erklärung nachdrücklich auf die schweren gesundheitlichen Schäden hin, die seiner Mandantin durch den Mißbrauch im Rahmen einer therapeutischen Behandlung zugefügt worden seien. Die Strategie des Angeklagten, sich selbst als Opfer hinzustellen, bezeichnete er als „billige Masche“. Kai von Appen

*Name geändert

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