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Kunst gewordene Katastrophen

■ Umtost von endlosen Autofluten, residiert der Galerist Cato Jans übergangsweise im Mercedes-Haus vor den Elbbrücken

„Letzte Galerie vor der Autobahn“: mit diesem griffigen Slogan preist Cato Jans einen neuen Kunstort an. Um angesichts der immer weiter in den Sommer dieses Jahres verschobenen Fertigstellung des neuen Galerietraktes in der Markthalle am Klosterwall nicht monatelang ohne Galeriebetrieb zu bleiben, eröffnete der Hamburger Galerist letzten Freitag ein von endlosen Autofluten umströmtes Kunstbollwerk in einer anderen Liegenschaft der Sprinckenhof AG. Im ersten Stock des freistehenden Mercedes-Hauses vor den Elbbrücken bietet er auf 250 Quadratmetern aktuelle Werke von zwölf Künstlern, zugleich hält er Rückschau auf seine ersten fünf Jahre Galerietätigckeit in der Winterhuder Humboldstraße.

Wo einst Autoteile lagerten, stehen nun Laudas und Watsons „verunfallte“ Formel-1-Rennwagen, in halber Größe genauestens aus Wellpappe nachgebaut. Um die für diesen Ort zentrale Arbeit des Kölners Norbert Wilting gruppieren sich andere Kunst gewordene Alltagskatastrophen. Ein großer bunter Haufen entpuppt sich als Ansammlung von Zahnabdrücken und gipsernen Gebissen: Ein schmerzhaftes, doch vielleicht allzu didaktisches Vanitasmotiv von Michael Nitsche. Wächsern verpuppt, entstellt und geschwängert daneben die Teddys von Sandra Munzel: Ihre Installation Wachstumsversuche samt deren kleinformatigen Zeichnungen zwischen scheinbar niedlichen Märchenfiguren, Ausscheidungslust und genitalen Obsessionen bearbeitet verdrängte Kindheits- und Pubertätsängste.

Statt eines Guckkastens nutzt Zvika Kantor die dreigeteilt verglaste Büroabseite als mehrfach gespiegelten Ort der Überlagerung von alter Tierdarstellung und neuen Kunststoffwesenheiten. Die rätselhafte Kombination auf metergroßer Kunststoffplane wird seitwärts von einer strengen Jungfer mit Fernglas begutachtet, einem Bild von Inge Priess. Zudem spiegeln sich hier die einzeln aufgestellten, schmalen Tafeln mit den Verkörperungen der Vier Jahreszeiten, ein Hauptwerk der neomanieristischen Hamburger Allegoristin, das schon allein durch seine Altarform über bloße Ironie hinausweist.

Im Fenster zur Elbe leuchten diaartig Fotos zu den fünf Jahreszeiten (Winter, Frühling, Sommer, Herbst und JETZT) von Johannes Lothar Schröder, ein kleiner Einblick in ein auf zehn Jahre angelegtes Projekt. Weiter gibt es abstrakte Tafelbilder des Israelis Ryoram Merose, Kupfergitterquadrate der Schweizerin Katharina Rähmi, einfarbige Numernschildmalerei von Klaus Kröger und eine ganze Wand voll mit 450 bleigefaßten, auf kleine Fundhölzer grob gemalten Deutschen Porträts des Amerikaners Todd D. Severson. Der Stuttgarter Hermann Wolf konfrontiert die Platinum-Kreditkarte für Millionäre mit ärmlicher, zweirädriger Oma-Einkaufshilfe und Polaroids von gräßlichen Einkaufshallen der Peripherie. „Es wird immer noch Dekoration gesucht, Gesellschaftskritik wird in Galerien weniger vermutet“, komentiert Cato Jans.

Der Galerist gehört neben Uwe Mokry von Basta zu den beiden aktivsten und interessantesten Galeristen aus der Generation der 30jährigen in Hamburg. Seit kurzem ist Cato Jans auch Vorsitzender des Vereins Ateliers für die Kunst. Dieser Verein, zufällig ebenfalls wie die Galerie 1990 gegründet, leistet Koordinierungsarbeit zwischen Künstlern, staatlichen Stellen und Wirtschaft. In fünf Jahren ermöglichte er an die 80 neue Ateliers. Nicht nur notwendiger Werkraum, auch professioneller Vorzeigeraum ist das Atelier für den Künstler. Ein lockeres „Besuchen Sie mich doch zu Haus“ hat dagegen eher den Beigeschmack eines unsittlichen Angebots. „Ateliers sind die Basis einer jeden Kunstszene“, sagt Jans, „ein Atelier ist auch der erste Schritt zur Selbstpräsentation, denn Galeristen können ja nur einen Bruchteil der Künstler vertreten, die da sind. Als Galerist bringe ich Kunst und Geld zusammen, und das hoffe ich auch in der Atelierproblematik tun zu können.“ Von der angedachten Einrichtung von Ateliers im Mercedes-Haus wurde wegen des automobilistischen Dauerlärms aber abgesehen.

Hajo Schiff

„Arena“ im „Mercedeshaus“, Billhorner Brückenstr. 40, 1. Stock, Mo–Fr

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