Kulturpolitischer Kommentar: Wie in Bremen die Kultur „gestärkt“ wird
■ Die neue Sparrunde in der Kultur zeigt: Die Trennung zwischen Investieren und Sparen ist aus dem Ruder gelaufen
In Sachen Kultur rangiert München unter den deutschen Städten an erster Stelle und Bremen unter ferner liefen, berichtete vor kurzem der focus. Für jede Subventionsmark an die Kultur fließen im Schnitt 1,40 Mark wieder an die vereinigten Staatskassen zurück, errechnete schon vor fast zehn Jahren das renommierte Ifo-Institut. Bald zwei Drittel der BesucherInnen der Paula-Becker-Modersohn-Ausstellung in der Böttcherstraße kommen von jenseits der Bremer Landesgrenzen, meldete vor Wochenfrist die Bremer Kunsthalle.
Eine Rangliste, eine Studie, eine Befragung – man kann im Einzelfall durchaus Zweifel hegen, doch aus der Summe dieser und weiterer Indizien läßt sich nur ein Schluß ziehen; ein Schluß, der längst wie ein Lamento klingt und dem Papier nach auch von den politisch Verantwortlichen im Bremer Senat gezogen wurde: Kultur ist – im Ökonomistendeutsch – ein harter Standortfaktor und sei der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD zu Folge auch zu stärken.
Nimmt man diese noch vor zwei Wochen bei der Eröffnung der Glocke vollmundig von Bürgermeister Henning Scherf (SPD) wiederholte Absichtsbekundung beim Wort und berücksichtigt dabei, daß Bremen weniger in Kultur investiert als die meisten vergleichbaren Städte, ist das seit Jahren gebotene Schauspiel der blanke Hohn.
Jahr für Jahr werden unter Berufung auf die Haushaltsnotlage des kleinsten Bundeslandes neue, niedrigere „Eckwerte“ für die Kultur beschlossen. Jahr für Jahr werden sie von immer demotivierteren weisungsgebundenen Kulturbeamten in Wochen „möglichst schmerzlos“ oder „ohne Alternative“ umgesetzt. Jahr für Jahr werden sie von politischen Beamten und Deputierten der gerade regierenden Parteien in Stunden modifiziert und dann gegen die Stimmen der gerade oppositionellen KollegInnen beschlossen. Eben dieses Szenario ging in den letzten Wochen wieder über die Bühne. Und ein Ende dieses Schauspiels ist nicht absehbar.
Da soll sich keiner etwas vormachen: Kaum jemand wird merken, ob das Kulle Lesum oder das Kunz in der Neustadt in diesem Jahr noch Geld bekommt oder nicht. Auch wird kaum jemand spüren, daß die Gesellschaft für aktuelle Kunst, das Übersee-Museum oder das Lagerhaus Schildstraße weniger und die freien Theatergruppen, die Bremer Folkinitiative oder der Brahms-Chor gar nicht mehr aus Haushalts-, Wett- oder Projektmitteln unterstützt werden. Allein es werden durch diese Folge zumeist kleiner Schnitte Strukturen aufgelöst. Ein Abwande-rungsprozeß hat in vielen Sparten längst eingesetzt. Der Freiheit geht die Luft aus. Und obwohl sich viele Unentwegte noch immer redlich mühen, passiert immer weniger, was dazu beitragen könnte, das Etikett „Kulturstadt“ auch durch Inhalt zu rechtfertigen.
„Die Voraussetzung für Kulturpolitik ist klares Handeln“, erklärte der Münchener Kulturreferent Siegfried Hummel bei einer Veranstaltung zu Beginn vergangener Woche und fügte hinzu: „Das Schreckliche bei den meisten heute amtierenden Kulturpolitikern ist, daß sie ohnmächtig wirken und nicht mehr ernst genommen werden.“ Obwohl diese Rüge eigentlich die Definitionsmächtigen einschließen müßte, beschreibt Hummels Kommentar das Bremer Szenario treffend. Ein Szenario, in dem nach Angaben nahezu sämtlicher Betroffener seit Jahren konzept- und orientierungslos der Mangel verwaltet und durch Sparbeschlüsse immer weiter vergrößert wird – schlicht, weil Kulturförderung als freiwillige und nicht als Pflichtleistung gilt.
Dieser strukturellen Schwäche steht ein Aktionismus gegenüber, der sich nur sehr eingeschränkt gegen den kulturellen Sektor aufrechnen läßt, der aber immer öfter in Konkurrenz zu ihm tritt: In einem geradezu naiven Optimismus setzen die Hüter der Investionsmilliarden auf das Neue, wobei ihnen zur Kultur die Amüsierbetriebe Musical und „Ocean Park“, ein künstliches Shopping-Center mit Rakete, der eine oder andere „Event“ im Sommerloch oder ein Museum im Schnoor einfallen. Doch vom „Hauff-Spektakel“ im Rathaus bis hin zu den leidlich zitierten „Proms“ auf der Pferderennbahn waren vergleichbare Aktionen der vergangenen Jahre nahezu sämtlich teure Flops. Kein Wunder deshalb, wenn auch die nebenamtlichen Kulturpolitiker im Wirtschaftsressort und dem untergeordneten GmbH-Konsortium nicht mehr ernst genommen werden und ein jeder mußmaßlich professionelle Nachfolger mit diesem Erbe leben muß. Doch so oder so: Die Trennung von Investition und Sparen oder von neu und konsumtiv ist aus dem Ruder gelaufen.
Nur beispielhaft seien die Kunsthalle und das Focke-Museum erwähnt, die derzeit mit Millionenaufwand modernisiert werden, in denen aber nach Wiedereröffnung kaum das Geld vorhanden sein wird, einen auch nur halbwegs angemessenen Betrieb zu gewährleisten. Allein die längst bestehenden „Kulturfonds“ der Freundeskreise überdecken den Skandal.
Es ist noch nicht lange her, daß der Geschäftsführer der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG), Michael Göbel, erklärte, er nähme jeden Konzeptvorschlag gerne an, aber es gäbe keine. Es ist auch noch nicht lange her, daß prominente Kultur-Leute bei einer Befragung nach ihren Wünschen fast schon rührend bescheiden waren. Es wird langsam Zeit, aus dieser Agonie aufzuwachen. Vom Senat, der morgen allem Anschein nach beschließen wird, daß alles so wie bisher weitergeht, sind Ermunterungen jedenfalls nicht zu erwarten. Christoph Köster
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