: Ski ohne Publikum
■ Nur Alberto Tomba vermochte Zuschauer in den WM-Ort Sestriere zu locken
Berlin (taz) – Mit der italienischen Volksseele kennt sich der Schweizer Gianfranco Kasper, Generalsekretär des Ski-Weltverbandes FIS, besonders gut aus. „Der Italiener“, weiß er zu berichten, „ist, objektiv gesagt, ein Chauvinist.“ Drum kommt er nur dann in Scharen, wenn Alberto Tomba den Hang hinunter schwarwenzelt. Ansonsten bleibt er daheim vor der Glotze, sogar, weil er ja ein männlicher Chauvinist ist, wenn Deborah Compagnoni siegt.
Die meiste Zeit glich das in 2.000 Meter Höhe und recht abseitig gelegene 800-Seelen-Örtchen Sestriere während der Ski-WM einer Geisterstadt. Wer fährt auch schon ein paar Stunden mit dem Bus, um mittags eine Kombinationsabfahrt und abends einen Kombinationsslalom zu betrachten, vor allem, wenn er zwischendrin nicht mal einen Platz findet, „wo man einen Kaffee trinken könnte“ (Skifahrerin Claudia Riegler)? Bestimmt nicht „der Italiener“, der einem Platz im Bus jeden kernigen Stau vorzieht. Der kundige Gianfranco Kasper: „Den Italiener kümmert so was nicht.“
Wohl aber die FIS, die die Straße für den Privatverkehr sperrte, um einen vermeintlichen Verkehrskollaps zu vermeiden. Künftig, so FIS-Präsident Hodler, werde man sich schwer überlegen, ob man die WM noch mal an einen Ort ohne Bahnverbindung vergeben werde. 1999 in Vail/Colorado (Autobahn) und 2001 in St. Anton (Bummelbahn) fällt dieses Problem erst mal weniger ins Gewicht.
Nicht, daß die FIS auf Zuschauer an der Strecke angewiesen wäre. Mit den TV-Einschaltquoten war man zufrieden, und die Vermarktung der Veranstaltung klappte hervorragend. Diese hatte der Verband einer Agentur übergeben und dafür rund 45 Millionen Mark kassiert. Vor einem Jahr in der Sierra Nevada waren es bloß 16 Millionen Mark gewesen.
Einen großen Batzen muß die FIS allerdings dem örtlichen Organisationskomitee abgeben, das fest in den Händen der Familie Agnelli ist, der Sestriere praktisch gehört. 1987 hatte sich deren Automobilkonzern Fiat die WM mehr oder weniger erkauft, um die sportliche Promotion für ihr Skiparadies in spe außer mit Leichtathletik und Tour de France endlich auch per Skisport anzukurbeln. Da Vermarktungsagentur und Organisationskomitee gleichermaßen von der Firma kontrolliert werden, bleibt alles in der Familie. Kein Wunder, daß sich OK-Präsident Giovanni Alberto Agnelli am Ende der WM zufrieden äußerte und von „großartigen Ergebnissen“ sprach. Das Wetter spielte einigermaßen mit, der verkorkste Terminplan war schnell vergessen, und am Ende gewann Tomba im Slalom sogar noch Bronze hinter Stiansen und Amiez. Auch die Befürchtungen nach der völlig verpatzten Generalprobe im letzten Jahr, daß es ein organisatorisches Chaos geben würde, bewahrheiteten sich nicht. „Für ihre Verhältnisse“, mußte Gianfranco Kasper den Italienern zugestehen, „waren sie gut vorbereitet.“ Matti Lieske
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