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Die große Johanniskraut-Koalition

Für eine dubioses Aids-Medikament sollen fünf Millionen Mark verbraten werden  ■ Von Manfred Kriener

Eigentlich soll Johanniskraut ja beruhigen und die Stimmung aufhellen. Doch das Pflänzchen mit dem kräftigen Gerbstoffgehalt (Hypericum perforatum) sorgt derzeit eher für Unruhe und finstere Mienen. Anlaß für die Aufregung ist eine heftig umstrittene Studie. In einer Kohorte mit 500 Infizierten soll die Wirksamkeit des Krauts bei der Behandlung von Aids untersucht werden. Experten greifen sich an den Kopf.

Am 6. Februar ging im Bonner Forschungsministerium der Antrag zur Förderung des Projekts ein. Für das Robert-Koch-Institut (RKI), für die Deutsche Aidshilfe und für die Ärzte der Klinischen Arbeitsgemeinschaft Aids (KAAD) ist das Vorhaben zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Doch entgegen dem Urteil der Fachleute könnte die Studie – aus politischen Gründen – doch noch auf den Weg gebracht werden. Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich persönlich für das Vorhaben starkgemacht.

Am Freitag wetterte auf einer Pressekonferenz in Bonn die Deutsche Aidshilfe nochmals gegen das „unsinnige Forschungsprojekt“. Tenor: Während der Etat für die Aidsaufklärung und Verhütung um ein Drittel schrumpft, während für die gesamte Aidsforschung nur 17 Millionen Mark zur Verfügung stehen, soll mit einem Aufwand von fünf Millionen Mark ein Medikament untersucht werden, dessen Nicht-Wirksamkeit in Sachen HIV längst bewiesen sei.

Die Karriere von Johanniskraut als Aids-Medikament begann vor zwei Jahren mit einem spektakulären „Panorama“-Beitrag. Darin berichtete die Bonner Ärztin Anne Steinbeck-Klose von ungewöhnlichen Therapieerfolgen bei HIV-Patienten. Unmittelbar danach begann ein Ansturm auf die Praxis der Naturheilkundlerin. In der Bonner Politik sondierte derweil Gatte und Bundestagsvizepräsident Hans-Ulrich Klose (SPD) das Terrain, warb um Forschungsgelder und Unterstützung für die Erfolgskur der Gemahlin. Die Minister Seehofer und Rüttgers wurden aktiviert und schließlich sogar der Kanzler. Zweimal befaßte sich Kohl persönlich mit dem Anliegen. Die große Bonner Johanniskraut-Koalition verständigte sich schließlich darauf, eine Studie als deutsch-israelisches Forschungsprojekt anzuschieben, da auch das Weizmann-Institut in Sachen Johanniskraut aktiv ist.

Doch spätestens als Gesundheitsminister Seehofer das Robert- Koch-Institut einschaltete, um die Patientendaten aus der Praxis Steinbeck-Klose wissenschaftlich aufzubereiten, kippte die Johanniskraut-Euphorie. Die Berliner Wissenschaftler konnten nämlich „keinen therapeutischen Effekt“ erkennen. Sie stellten fest, daß die antiviralen Wirkstoffe der Pflanze, die „Hypericine“, in vitro nur in Kombination mit UV-Licht wirken. Da es im menschlichen Körper aber „stockdunkel“ sei, könne das Hypericin dort gegen das Aidsvirus nichts ausrichten. Die ablehnende Position wurde auch dem Gesundheitsminister übermittelt. Das Echo kam postwendend: Das RKI wurde vom Seehofer-Ministerium angewiesen, sich in Sachen Johanniskraut künftig jeder Bewertung zu enthalten. Die Auswertung der Patientendaten ging an den hannoverschen Biometrie- Professor Berthold Schneider. Der hat zwar von Aids keine Ahnung, so die RKI-Experten, ist aber dem Projekt wohlgesonnen.

In einem gemeinsamen Papier faßten Schneider und Steinbeck- Klose die bisherige „Praxis-Erfahrung“ mit Johanniskraut zusammen. Kernsatz: „Die Sterblichkeit ist bei den mit Hypericum behandelten Patienten deutlich geringer“. Als Vergleichsmaßstab wurde eine Langzeitstudie des RKI herangezogen, in der die Überlebenszeit und der Krankheitsverlauf von HIV-Infizierten seit Mitte der 80er Jahre dokumentiert worden waren.

Doch der Vergleich mit den RKI-Daten verbietet sich. Erstens, weil die Patientendaten aus der Bonner Naturheilkunde-Praxis durch „Drop-Out“ geschönt sind: Gerade diejenigen Patienten mit starker Krankheitsprogression und schlechter Prognose sind verstärkt aus der Johanniskrautbehandlung bei Steinbeck-Klose ausgestiegen und haben anderswo Hilfe gesucht. Die Aussteiger verzerren das Ergebnis. Und diejenigen, die wirklich schwer krank waren, sind von Anfang an eher ins Krankenhaus als zur Johanniskrautkur gegangen.

Zweitens werden bei dem Vergleich die RKI-Infizierten aus den 80er Jahren den Steinbeck-Klose- Patienten aus den 90er Jahren gegenübergestellt. Die Behandlung von Aids hat seitdem aber entscheidende Fortschritte gemacht, die Überlebenszeiten haben sich dramatisch verlängert.

Trotz der amateurhaften Fehler wurden die Studienpläne vorangetrieben und das Vorhaben noch vor dem Jahreswechsel in Köln vorgestellt. „Ganymed“ soll das Projekt mit 500 Patienten und geschätzten Kosten von fünf Millionen Mark heißen. Als Leiter ist der hannoversche Aidsforscher Ingolf Schedel vorgesehen. Doch der Kölner Auftritt sorgte nur für neue Irritation. Die KAAD ging ebenso auf Distanz wie Deutschlands bekannteste Aidsforscherin Helga Rübsamen-Waigmann. Der Berliner Arzt Keikawus Arasteh, Mitglied der KAAD, faßt die Eindrücke aus der Kölner Vorstellung kurz und knapp zusammen: „Hier werden sinnlos und willkürlich Forschungsmittel verbraten.“ Zudem fehlten für die Studie selbst elementarste pharmakologische Vorarbeiten.

Der Münchner Aidsbehandler Hans Jäger kritisiert das Projekt vor allem vor dem Hintergrund bereits abgeschlossener Studien. Johanniskraut sei ausreichend untersucht. Für die HIV-Infektion „ist es keine erfolgversprechende Therapieschiene“.

Ob es tatsächlich zur Ganymed- Studie kommt, ist trotz des hochpotenten Bonner Unterstützerkartells noch unklar. Das über Forschungsmittel befindende Gutachtergremium kann sich über die wissenschaftlichen Standards kaum hinwegsetzen. Vergangene Woche wurde der Forschungsantrag erst mal zurückgeschickt. Wegen gravierender inhaltlicher Mängel.

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