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Ein Hoch auf den Flachwitz

Kevin Allen erzählt mit seinem Spielfilmdebüt „Twin Town“ (Wettbewerb), wie „fucked-up“ ihm die gesamte britische Gesellschaft erscheint  ■ Von Harald Fricke

Nein, Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ habe er noch nie gesehen, meinte Kevin Allen zur Pressekonferenz von „Twin Town“. Wie sollte er auch? Der Film ist in England verboten, nur merkt man es den jungen britischen Filmen kaum an: „Trainspotting“ war im letzten Jahr so erfolgreich wie zuletzt „Chariots of Fire“ („Die Stunde des Siegers“ von Hugh Hudson), und das ist 17 Jahre her.

Ähnliche Widersprüche findet man auch in Allens Biographie: Früher hat der Waliser zwar politische Dokumentarfilme gemacht, „aber dafür hat sich keiner interessiert“. Was also kann ein verkannter Mittelklassejunge tun, wenn er nicht in einer Britpopband singt? Eben, einen sturzhumorigen Film über Sex, Geldgier und Gewalt drehen, mit einem Soundtrack voller zuckriger Easy-Listening- Lieder und TripHop-Rhythmen.

Willkommen in Wales! Mit einem Panoramablick fährt die Kamera über die Arbeiterhäuschen von Swansea. Petula Clark singt etwas vom Glück, das immer unerreichbar bleibt, dazu winken ältere Leute und Kinder herüber. Alles sieht nach einer Spazierfahrt ans Meer aus. Schöner wird es in „Twin Town“ nicht mehr werden, aber viel, viel lustiger. Dafür sind vorzugsweise die Comedy-Talente Rhys (sprich: Rrüß) Ifans und Llyr (sprich: Lörr) Evans zuständig, die als Lewis-Brüder mit geklauten Autos andere Autos zu Klump fahren und sich mit Pillen, Hasch oder magischen Pilzen einen gemütlichen Tag machen.

Schon an den Drogen kann man gut und böse auseinanderhalten: Das Proletariat mag lieber Gras, die Korruption nimmt Kokain. Überhaupt steht die Stadt unter dem Bannspruch, das „Ehrgeiz gefährlich ist“, doch dieser Satz stammt von Dylan Thomas, und der war meistens betrunken.

Für einige Zeit bleiben den zugerauchten Clowns zwei Polizisten auf den Fersen, die nebenbei in großen Mengen mit „Schnee“ dealen, wie Terry gern sagt, weil das mehr nach Al-Pacino-Filmen klingt. Er selbst sieht ein wenig wie Quentin Tarrantino aus und schlägt entsprechend oft und genußvoll zu. Sein Kollege Greyo bevorzugt dagegen Fesseln und Oralverkehr, hat aber ein gutes Herz.

Mit solchen Zitaten aus gängigem Action-Trash hält sich Allen ein junges Publikum warm, das übrige Personal wirkt dagegen so kurios wie die Schauspieler um Willy Millowitsch oder aus dem Ohnsorg-Theater. Ein Hoch auf den Flachwitz: Überhaupt ist „Twin Town“ eher eine Klamotte aus dem Provinzleben, wäre da nicht die stetig weiter wachsende Brutalität, mit der sich britisches Kino seit „Shallow Grave“ (Kleine Morde unter Freunden) auf dem Markt behauptet. Zielstrebig haben Danny Boyle und Andrew Mac Donald aus dem „Trainspotting“-Team den Film mitproduziert, weil sie „Gewalt für ein angemessenes Mittel zur Steigerung der Dramatik halten“, so Mac Donald.

Tatsächlich entwickelt sich die Story vom Land ganz langsam zur shakespearianischen Schlachteplatte: Abgetrennte Pudelköpfe machen den Anfang, dann werden die Lewis-Eltern mit ihrem zugemüllten Plattenbau in die Luft gesprengt, und schließlich hängen Topmanager aufgeknüpft in ihrer Garage. Das alles kommt sehr unvermittelt, wie ein Schlag in die Magengrube. Irgendwie britisch eben. Nebenbei vergnügt man sich dennoch bei Karaoke-Partys und Pilzen.

Kevin Allen wollte mit seinem Spielfilmdebüt eine Geschichte darüber erzählen, wie „fucked-up“ ihm die ganze Gesellschaft nach 18 Jahren Tory-Regiment erscheint. Angreifen wollte er diese Verhältnisse jedoch nicht. Bis zum Schluß hat der Terror immer auch ein rosiges Gesicht, und selbst der alte Lewis wird recht anrührend von einem Männerchor auf See bestattet, wie er es sich immer gewünscht hat. Daß man ihm Terry als lebenden Ballast um den Sarg knotet, ist englischer Humor – schwarz und doch mit viel zuviel Zucker.

„Twin Town“. Großbritannien 1996, 100 Min., Regie: Kevin Allen. Mit Llyr Ifans, Rhys Ifans, Dorien Thomas u.a.

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